: Ein Silberstreif am Horizont
BERLINALE Der Gewinner des Silbernen Bären 2013 lebt als Flüchtling in Spandau. Nach einem taz-Bericht hat er nun Hoffnung, dass seine Abschiebung verhindert werden kann
■ Am heutigen Montag um 10 Uhr beginnt der Kartenvorverkauf für die 64. Berlinale. Traditionell bilden sich bereits ab Mitternacht lange Schlangen vor den Verkaufsstellen in den Arkaden am Potsdamer Platz, im Kino International und im Haus der Berliner Festspiele, um eine der begehrten Karten zu ergattern.
■ Die Tickets können täglich von 10 bis 20 Uhr gekauft werden, und zwar jeweils drei Tage vor der Vorführung. Bei Wiederholungen der Wettbewerbsfilme beginnt der Vorverkauf vier Tage vorher. Am Tag der Vorstellung muss man sein Glück an der Tageskasse des Kinos versuchen. Im Internet steht ein kleines Kontingent bereit. (dpa)
VON SUNNY RIEDEL
Nazif Mujic ist glücklich. Die letzten Wochen waren „super“, sagt er. Durch die vielen Besuche von Journalisten sei endlich etwas Abwechslung in seinen öden Alltag im Flüchtlingsheim gekommen. Und: Er macht sich Hoffnungen, dass er und seine Familie doch noch in Deutschland bleiben können. Viel Zeit bleibt nicht: Mujic’ Aufenthaltsgenehmigung läuft am 9. März ab.
Als die taz Mitte Januar schreibt, dass Nazif Mujic und seine Familie in einem Flüchtlingsheim in Spandau leben, weiß davon kaum einer: Nicht die Medien und nicht die Mitarbeiter der Berlinale. Mujic hofft, dass durch den Bericht viele auf sein Schicksal aufmerksam werden. Und „dass gute Leute in Berlin mir helfen werden“. Mittlerweile haben ihn rund 40 Journalisten in seinem 35 Quadratmeter kleinen Zimmer im Heim in Gatow besucht, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Frankreich, Serbien und Japan. Auch die Berlinale reagierte rasch – und schickte eine Limousine ins Heim. Die brachte Mujic zu einer Anwältin, die sich seines Falls annahm. Die Kosten dafür übernehmen die MitarbeiterInnen der Berlinale, auf Initiative der Festivalleitung.
Alltag als Schrottsammler
Nazif Mujic ist nun fast wieder so bekannt wie vor einem Jahr. Zum Abschluss der Berlinale 2013 war der 43-jährige Laiendarsteller zum besten Schauspieler des Filmfestivals gekürt worden. In dem halbdokumentarischen Film „Eine Episode im Leben eines Schrottsammlers“ von Regisseur und Oscar-Preisträger Danis Tanovic spielt er sich selbst.
Seine Rückkehr nach Bosnien gleicht einem Triumphzug. Fotos aus dieser Zeit zeigen Nazif Mujic mit breitem zahnlosem Lächeln und dem Silbernen Bären – der offiziellen Auszeichnung – in der Hand. Nur wenige Monate später ist er ganz unten angekommen. Als Metallsammler konnte er nicht mehr arbeiten: Die einstigen Kollegen ließen ihn nicht mitmachen, sie verspotteten ihn: „Ein so berühmter Schauspieler, der Schrott sammeln muss.“ Auch ein Bandscheibenvorfall setzte ihm zu. Kurz: Ihm und seiner Familie fehlte es am Nötigsten, um zu überleben. So kam Mujic, Angehöriger der Minderheit der Roma, im November zurück in die Stadt seines größten Erfolgs, mit seiner Frau Senada, den beiden Töchtern und seinem Sohn.
Wenn am Donnerstag die Berlinale feierlich eröffnet wird, wird auch Nazif Mujic dabei sein. Stolz zeigt er seine Akkreditierungskarte. Er freut sich. Auch darauf, für fünf Tage aus dem engen Zimmer im Flüchtlingsheim rauszukommen, um in einem Luxushotel zu übernachten. Allein, denn seine Frau und seine Kinder bleiben im Heim. Er aber wird über den roten Teppich laufen und wieder sein zahnloses Lächeln in die Kameras schicken. Überraschend haben auch Regisseur Danis Tanovic und Amra Baksic Camo, die Produzentin des Films, ihr Kommen angekündigt. Sie wollen mit Mujic über seine Zukunft reden, sagt Mujic.
Ein normales Leben führen
Auch der für den Fall politisch zuständige Innensenator registriert offenbar, wie viel Empörung und Mitgefühl der Fall Mujic in der Öffentlichkeit auslöst. Einstweilen wolle man sich aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu Einzelfällen äußern, war aus dem Büro von Frank Henkel (CDU) zu hören.
Mujic’ Chancen, hierbleiben zu dürfen, stehen indes nicht gut. Am 9. März läuft seine Aufenthaltsgenehmigung ab, 11 Tage vorher muss seine Frau gehen. Er wird sie nicht allein ziehen lassen. „Wir wollen hierbleiben, um zu arbeiten und ein normales Leben zu führen, damit unsere Kinder zur Schule gehen können. Wir wollen nicht reich werden, nur normal leben“, so Mujic.
Doch Bosnien-Herzegowina gilt, wie alle anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien, als „sicherer Drittstaat“. Menschen aus diesen Ländern können also abgeschoben werden. Dass auch Armut Leben zerstören kann, wird im Asylrecht nicht berücksichtigt. Die Lage für Roma ist schwierig in Bosnien. Laut Amnesty International sind rund 70 Prozent der Roma dort arbeitslos, Human Rights Watch spricht gar von 95 Prozent. Wenzel Michalski, Deutschlandchef von Human Rights Watch, sieht auch eine grundlegende institutionelle Diskriminierung. „In Bosnien gibt es eine Verfassung, die besagt, dass Roma und Juden sich nicht für politische Ämter bewerben dürfen.“ Es müsse Druck ausgeübt werden, damit diese Gesetze geändert werden.
Nazif Mujic’ schwarzer Anzug hängt im Schrank bereit. Auch den Silbernen Bären hat er dabei: Er trägt ihn immer mit sich aus Angst, ihn zu verlieren. Er sei sein wichtigstes Dokument, sagt er immer wieder. Deshalb würde er ihn auch nie veräußern. Die Doktorandin Anna Martin möchte ihn ihm trotzdem abkaufen. Symbolisch sozusagen. Wie viele BerlinerInnen, die von Mujic’ Schicksal erfahren haben, möchte sie etwas tun. Mit Kommilitonen hat sie Geld gesammelt, das sie ihm Ende Februar übergeben wird. Hoffentlich ist es kein Abschiedsgeschenk.