: Noch schlimmer nach Sotschi
OLYMPIA Bei der Berliner Konferenz „Gold for Equal Rights“ berichten Aktivisten im Vorfeld der Olympischen Spiele, wie Schwule und Lesben in Russland diskriminiert werden
MARIA KOSLOWSKAJA, LGBT-AKTIVISTIN
AUS BERLIN LJUBA NAMINOVA
„Die Angst, sich öffentlich zu outen, ist sehr groß“, erzählte die lesbische Rechtsanwältin Maria Koslowskaja. Sie ist Aktivistin beim LGBT Network in St. Petersburg. Im Rahmen der Konferenz „Gold for Equal Rights“, die am 1. Februar unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Klaus Wowereit im Roten Rathaus stattfand, sprach sie von den alltäglichen Repressionen gegenüber Homosexuellen in Russland.
Die meisten Homosexuellen fürchten Gewalt und Verfolgung nach ihrem Coming-out. „Einer unserer Aktivisten wurde verprügelt, nachdem er sich als schwul zu erkennen gab. Der Schläger hatte zuvor den ganzen Abend freundschaftlich mit ihm verbracht, rastete aber aus, als er von seiner Homosexualität erfuhr“, erzählte Koslowskaja. „Dinge dieser Art passieren jeden Tag.“ In vielen Fällen seien deswegen nur die engsten Vertrauten eingeweiht. Auch auf der Arbeit versuche man seine Homosexualität weitestgehend zu verheimlichen. Viele Schwule und Lesben werden nach ihrem Coming-out regelrecht aus dem Job gemobbt. Die meisten von ihnen sehen aber davon ab, gerichtlich dagegen vorzugehen. Die Angst, damit noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ist größer.
Besonders tragisch sei laut Koslowskaja die Situation von Regenbogenfamilien. Lesbische Pärchen mit Kind leben aufgrund des Verbots der „homosexuellen Propaganda“ sehr versteckt. Die Gefahr, dass die eigenen Kinder weggenommen und in ein Internat gesteckt werden, ist groß. Oft sind es die Exmänner der lesbischen Frauen, die sie bedrohen. Meist werden sie dabei von den leiblichen Eltern der lesbischen Mütter unterstützt. Im Zuge des Propagandagesetzes gewöhnen lesbische Mütter ihren Kindern wieder ab, ihre nicht biologische Mutter Mama zu nennen. Die Angst davor, dass das Kind sich verplappert, ist zu groß. Stirbt die leibliche Mutter, werden die Kinder oft den Großeltern zur Pflege übergeben. Die aber sind häufig homophob eingestellt. Nichtbiologische Mütter haben keinerlei Rechte, ihre Kinder zu behalten.
Schwule Pärchen mit Kind sind laut Koslowskaja in Russland äußerst selten. Da künstliche Befruchtung und Adoption unmöglich sind und Leihmütter teuer, wird ein Kind meistens mit einem befreundeten lesbischen Pärchen gezeugt und großgezogen.
Aufgrund der schweren Beweisbarkeit der Repression gegenüber Schwulen und Lesben ist es schwierig, politisches Asyl im Ausland zu erhalten. Regenbogenfamilien können in Russland bislang nirgendwo registriert werden. Ein homosexuelles Pärchen mit Kind ist auf dem Papier daher keine Familie. Ohne Registrierung wird die Familie aber auch in anderen Staaten, unter anderem in Deutschland, nicht als solche anerkannt. Durch den Medienrummel um die Olympischen Spiele in Sotschi liegt die Aufmerksamkeit momentan weniger auf den LGBT-Gruppen. Die Situation nach Sotschi konnte Maria Koslowskaja nur schwer abschätzen: „Manche Experten behaupten aber, es würde noch schlimmer werden.“ Die Rechtsanwältin berichtete davon, dass die Kontrollen im Vorfeld der Spiele stärker geworden sind. Im Bürogebäude ihres LGBT-Netzwerks fand sie eines Morgens plötzlich eine neu montierte Kamera vor. Als sie zur Polizei ging, erwiderte diese nur, man könne nicht beweisen, dass die Kamera dort illegal aufgestellt worden ist. „Nach Olympia wird die Welt wieder wegschauen aus Russland, bei uns aber werden die Probleme die selben bleiben.“ Maria Koslowskaja aber bezeichnet sich selbst als Optimistin. Sie hofft, dass sich die Situation der Homosexuellen nach Sotschi bessert oder zumindest so bleibt, wie sie ist.
Bei der Eröffnungsfeier der Spiele am kommenden Freitag wird das russische Popduo t.A.T.u auftreten, das für sein lesbisches Image bekannt ist. Tatsächlich ist nur eine der Sängerinnen bisexuell. Die Wahl dieses Musik- Acts ist Sinnbild für eine Regierung, die nur zum Schein tolerant ist.