: Egon Bahrs Erinnerungen
BRD Die ARD erzählt anhand des Bonner Kanzlerbungalows zum 100. Mal, wie das damals so war („Geheimnisvolle Orte“, 23.30 Uhr)
Jochen Schimmangs großartiger Roman bringt die Bonner Republik schon im Titel perfekt auf den Punkt: „Das Beste, was wir hatten.“ Früher war alles besser, nicht zuletzt die Regierungsarchitektur. Denn das hatte man in der Bundesrepublik schnell begriffen: Das große Schwammdrüber musste auch symbolisch begangen werden, nach den Jahren des steinernen Größenwahns hatte man fix die Baumaterialien Stahl und Glas als ihrem Wesen nach demokratisch erkannt. So baute also Sep Ruf erst den transparenten (ergo demokratisch-offenen) deutschen Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung und dann, im gleichen Stil, den Kanzlerbungalow.
Wie sich die Kanzler von Erhard bis Kohl dort eingerichtet haben, davon handelt die erste von drei neuen Folgen der Sendereihe „Geheimnisvolle Orte“. Sie kommt übrigens als Einzige ohne Nazis aus – zumindest wenn man, wie die Autorin Ulrike Brincker, über die NSDAP- und SA-Mitgliedschaft Kiesingers den Mantel des Schweigens hüllt. Es befriedigt ja durchaus ein voyeuristisches Bedürfnis, an der Wohnungseinrichtung zu sehen, wie einer die pathologische deutschtümelnde Biederkeit natürlich nie aus den Knochen gekriegt hat. Aber dass Kiesinger und Kohl die Spießer unter den Kanzlern waren, hat man auch vorher schon gewusst. Denn Filme über sämtliche Kanzlerjahre hat es schon einige gegeben. Die Idee, das nun anhand eines (Erinnerungs-)Orts einmal ganz neu zu erzählen, ist eigentlich gar nicht so falsch. Falsch ist aber, wenn der Ort bloßer Vorwand ist. Falsch ist, wenn das Neue sich in ein paar läppischen Anekdötchen und gönnerhaft-süffisanten Kommentaren über die unterschiedlichen Geschmacksverirrungen der Kanzlerfamilien erschöpft. Falsch ist, wenn am Ende doch wieder nur Egon Bahr zum 100. Mal erzählt, wie das damals so war. JENS MÜLLER