der berliner csd : Der einen Last, der anderen Lust
„Ich liebe Europa. Nur Kartoffeln mag ich nicht“ stand auf einem kleinen Schild, das ein Mann auf dem CSD hochhielt. „Danke, Warschau“ oder „Recht auf Freiheit“ in polnischer oder russischer Sprache waren andere Transparente, die rumgetragen wurden und an Lastwagen hingen. Denn etwas war anders auf dem diesjährigen Christopher Street Day. Etwas setzte einen Kontrapunkt zu Fest, Fetisch und Fuck, zur Loveparadisierung, Kommerzialisierung und Idiotisierung, die den CSD in den letzten Jahren geprägt hatten: die Homophobie in Polen, in Russland, in Lettland und anderswo.
Kommentar von Waltraud Schwab
Besonders die Situation der Homosexuellen im östlichen Nachbarland Polen, das kaum 60 Kilometer von Berlin entfernt beginnt, wirkte wie ein Referenzpunkt der Besinnung: Achtung! Es gibt eine Freiheit zu verteidigen.
Das brachte eine Verschiebung der Wahrnehmung. Plötzlich bedeutet es wieder etwas, wenn sich auf dem Berliner CSD die Homosexuellen innerhalb der Polizei und der Bundeswehr zu erkennen geben, wenn schwule Hertha-Fans sich outen, wenn die homosexuellen Mitarbeiter im Auswärtigen Amt auf die Straße gehen und schwule Katholiken deutlich machen, dass es sie ebenfalls gibt.
Immer gespiegelt an der polnischen Situation sind das Vertreter öffentlicher Gruppen, die in Polen vermutlich eher unter den Gegnern der dortigen Schwulen und Lesben zu finden wären denn unter ihren Verbündeten.
Dass es in Berlin anders ist, dass man hier lesbisch oder schwul sein darf, ohne Angst haben zu müssen, dies legte sich wie ein zusätzlich sonniger Dankbarkeitsschleier über die Parade. Die Stimmung war ruhiger als sonst. Mehr Leute sind mitgelaufen und haben das Terrain nicht den Bierbrauern, Kosmetikfirmen oder Fluggesellschaften überlassen.
Natürlich kann man dies als Erfolg feiern. Wahrscheinlich muss man es sogar. Traurig nur, dass es der Unterdrückung Homosexueller anderswo bedarf, damit man in Berlin endlich wieder merkt, worum es geht.