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Archiv-Artikel

Industrie zahlt amtliche Giftforschung

Eigentlich soll das Bundesinstitut für Risikobewertung untersuchen, wie gefährlich Chemie für Menschen ist – unabhängig von der Wirtschaft. Doch eine Mitarbeiterin veröffentlicht eine Studie über giftiges PCB, die von der Industrie gesponsert wurde

VON HANNA GERSMANN

Das sieht nach einem perfiden Fall von Lobbyismus aus: „Wir danken Eurochlor, Brüssel, für die finanzielle Unterstützung“, steht unter einem Artikel im Fachmagazin Arch Toxicol. In dem Text geht es darum, wie giftig Polychlorierte Biphenyle sind – kurz PCB. Diese stecken etwa in Fugendichtungen oder in Mixern und Kühlschränken aus den 70er-Jahren. Eurochlor ist die Lobby-Organisation der europäischen Chlorindustrie. Pikant: Eine der Autoren des Textes ist Beate Ulbrich, Gift-Expertin beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Dessen Mitarbeiter sollen unabhängig sein – ohne Einfluss der Wirtschaft.

Die neutrale Forschung sei „nicht gewährleistet“, warnt Greenpeace nun in einem Brief an Andreas Hensel, den Präsidenten der Behörde. Der Artikel wurde schon 2004 veröffentlicht, den Umweltschützen fiel er aber erst jetzt auf. Sie fürchten, dass die Chemieindustrie und deren Lobbyverbände Positionen des Instituts beeinflussen.

Im Sinne des Erfinders ist das nicht: Das BfR wurde 2002 von der damaligen grünen Verbraucherministerin Renate Künast geschaffen. Der Auftrag: Die Experten sollen wissenschaftliche Antworten geben auf Fragen wie: Macht das Konservierungsmittel in Apfelsaft krank oder mindert ein Farbstoff die Potenz? Denn die Industrie wiegelt bei Gefahren häufig ab.

So verarbeitete die Bauwirtschaft Asbest zum Beispiel noch lange nachdem sich die Krebsfälle häuften. Ihr Argument: Es sei „nicht wissenschaftlich erwiesen“, dass die Fasern krank machen. Bei der BfR-Mitarbeiterin Ulbrich hört sich das nun ähnlich an.

Bisherige Studien, die bei Kindern Entwicklungsstörungen durch PCB beschreiben, so schreibt sie, wiesen „methodische Mängel“ auf. Und: Die Effekte seien bisher nicht „angemessen untersucht“. Dabei sind PCB seit langem berüchtigt. Der Kieler Toxikologe Hermann Kruse sagt: „PCB waren immer gefährlich – und bleiben es auch.“

Zum ersten Mal zeigte sich die Giftigkeit des Stoffs 1968. In einer japanischen Lebensmittelfabrik wurde Reisöl mit PCB verseucht und 2000 Menschen erlitten Hautveränderungen und schwere Organschäden. Mittlerweile gilt die Chemikalie als Krebs erregend. In Deutschland und vielen anderen Ländern dürfen PCB längst nicht mehr hergestellt werden. Trotzdem finden sie sich noch in Muttermilch. Die Vereinten Nationen zählen PCB denn auch zum „dreckigen Dutzend“, zu den zwölf besonders langlebigen und gefährlichen Umweltgiften.

Das BfR sieht die Veröffentlichung der Mitarbeiterin jedoch gelassen. Die Bürger könnten sich „auf eine sachorientierte Arbeit meines Hauses verlassen“, schrieb der BFR-Präsident zurück an Greenpeace. Und BfR-Sprecher Jürgen Kundke erklärte der taz: „Es handelt sich um eine Literaturrecherche, mit der nur eine Forschungslücke dokumentiert werden sollte.“

Zudem sei Ulbrich, als die Forschung lief, keine BfR-Mitarbeiterin gewesen. Nur: Spätestens als sie das Manuskript bei der Zeitschrift eingereicht hat, arbeitete sie schon in der Behörde – sie hat den Artikel als BfR-Mitarbeiterin unterzeichnet. Doch Kundke hat ein weiteres Argument parat: Ulbrich habe den Artikel nicht allein verfasst, sagt er. Und nur der Co-Autor habe Geld von Eurochlor bekommen.

Der Co-Autor heißt Ralf Stahlmann und ist Professor für Toxikologie an der Berliner Universitätsklinik Charité. Er sagt: „Wir haben minimale Mittel bekommen und damit für ein Jahr eine studentische Hilfskraft finanziert.“ Diese habe den „Wust von PCB-Studien“ gesichtet. Dann habe Stahlmann zusammen mit Ulbrich „nüchtern die Essenzen“ aufgeschrieben. Stahlmann: „Ich kann darin nichts Verwerfliches sehen.“

Toxikologe Kruse sieht das anders. Für ihn ist es egal, ob Eurochlor das Geld nur auf das Konto der Charité überwiesen hat: „Die BFR-Mitarbeiterin Ulbrich steht unter einem Artikel, der von der Industrie gesponsert wurde.“