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Archiv-Artikel

Vetorecht für ledige Mütter gekippt

GRUNDRECHTE Bundesverfassungsgericht stärkt Position nichtehelicher Väter. Sie können gemeinsames Sorgerecht gerichtlich erzwingen

Die Rechtslage

■  Sorgerecht: Die elterliche Sorge umfasst die umfassende Sorge für ein Kind, von der Betreuung bis hin zur Verwaltung seines Vermögens. Haben Mutter und Vater das gemeinsame Sorgerecht, sind sie gleichermaßen für das Kindeswohl zuständig. Auch sind beide unter anderem entscheidungs- und unterschriftenpflichtig und auch dazu berechtigt. So bei der Wahl der Schule oder im Falle eines Krankenhausaufenthalts des Kindes. Im Falles des alleinigen Sorgerechts hat diese Rechte nur die Person, der das alleinige Sorgerecht zugesprochen wurde. Das Sorgerecht regelt auch das Recht auf Wahl des Wohnsitzes. Im Falle des gemeinsamen Sorgerechts muss die Mutter die Erlaubnis des Vaters einholen, wenn sie mit dem Kind an einen anderen Ort ziehen will.

■  Umgangsrecht: Dieses wird oft verwechselt mit dem Sorgerecht, das Umgangsrecht gilt aber unabhängig davon: Jedes Kind hat das Recht auf Umgang mit beiden Eltern. Praktische Bedeutung hat das Umgangsrecht bei getrennt lebenden Eltern und Eltern, die nicht über das gemeinsame Sorgerecht verfügen: Der Umgang mit dem Kind steht auch demjenigen zu, der kein Sorgerecht hat.

■  Vaterschaftsrecht: Wird aufgrund seiner Bezeichnung ebenfalls hin und wieder mit dem Sorgerecht verwechselt, ist aber etwas ganz anderes. Es regelt die Abstammung eines Kindes und kann angefochten werden: Vermutet ein Vater, dass das Kind, das er großzieht, nicht von ihm stammt, kann er die Vaterschaft anfechten.

■  Kindeswohl: Umfasst das gesamte Wohlergehen eines Kindes, sowohl physisch als auch psychisch. Das Kindeswohl steht über dem Elternwohl. Das hat auch das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch einmal eindeutig betont. SIS

VON CHRISTIAN RATH

Nichteheliche Mütter haben kein Vetorecht mehr beim Sorgerecht für ihre Kinder. Dies entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht. Es erklärte damit die bisherige Rechtslage für verfassungswidrig, gab seine alte Rechtsprechung auf und folgte dem Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte. Ab sofort gilt eine Übergangsregelung, die es unverheirateten Vätern ermöglicht, eine gerichtliche Klärung des Sorgerechts herbeizuführen.

Geklagt hatte ein Vater aus Nordrhein-Westfalen. Er lebte mit der Mutter nur wenige Wochen zusammen. Das Paar trennte sich während der Schwangerschaft im Jahr 1998. Der heute fast zwölfjährige Sohn lebte von Beginn im Haushalt der Mutter. Der Vater hatte ein Umgangsrecht und sah den Sohn alle 14 Tage am Wochenende.

Zweimal hatte der Vater versucht, das alleinige Sorgerecht der Mutter in ein gemeinsames Sorgerecht umzuwandeln. Denn er wollte mitbestimmen, wo das Kind wohnt, auf welche Schule es geht und ob gefährliche Operationen durchgeführt werden. Zunächst verweigerte die Mutter 2001 ihre Zustimmung. Laut Gesetz war das ihr gutes Recht.

Anfang 2008 erfuhr der Vater dann, dass die Mutter einen Umzug innerhalb Deutschlands plane. Erneut ging er vor Gericht. Wieder verweigerte die Mutter die gemeinsame Sorge. Auch sein Antrag auf alleiniges Sorgerecht scheiterte, weil dazu eine ausdrückliche Gefahr für das Kindeswohl erforderlich gewesen wäre. Dass der Sohn beim Vater leben wollte, reichte hierfür nicht aus. Der Vater erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde.

Nun entschied Karlsruhe, dass das Vetorecht der nichtehelichen Mutter gegen das Grundgesetz verstößt. Die Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch greife unverhältnismäßig in das Elternrecht des nichtehelichen Vaters ein, weil es ihn generell vom Sorgerecht ausschließt – falls die Mutter die Zustimmung verweigert. Es sei nicht durch das Kindeswohl geboten, dass das Recht des Vaters so hinter das Recht der Mutter zurücktreten muss, entschieden die Richter. Federführend war die einzige Frau im Ersten Senat, Christine Hohmann-Dennhardt.

Karlsruhe ändert damit seine Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht beruft sich dabei auf neue Erkenntnisse aus einer 2006 durchgeführten Umfrage bei Jugendämtern. Danach sei die Verweigerung einer gemeinsamen Sorge durch die Mütter in jeweils 80 Prozent der Fälle vom Wunsch bestimmt gewesen, „allein entscheiden zu können“ und „nichts mehr mit dem Vater zu tun haben zu wollen“. Damit hätten Gründe im Vordergrund gestanden, die eher wenig mit dem Kindeswohl zu tun haben, so die Verfassungsrichter. Der Hinweis auf „häufige Konflikte der Eltern“ komme erst an dritter Stelle.

Das Justizministerium hatte die Umfrage inzwischen zum Anlass genommen, ein ausführliches Gutachten über die Veto-Gründe der Mütter in Auftrag zu geben. Seine Ergebnisse sollen zwar erst im September vorgestellt werden. Wie die Verfassungsrichter mitteilen, weist das Gutachten aber die gleiche Tendenz auf.

Großen Einfluss auf den Sinneswandel der Verfassungsrichter dürfte aber ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem letzten Dezember gehabt haben

Noch größeren Einfluss auf den Sinneswandel der Verfassungsrichter dürfte aber ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem letzten Dezember gehabt haben. Danach verstößt das Vetorecht der ledigen Mutter gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Der Bundestag hätte also ohnehin das deutsche Familienrecht ändern müssen.

Dennoch ist die Karlsruher Entscheidung von großer praktischer Bedeutung, denn sie enthält eine Übergangsregelung, die ab sofort gilt. Danach hat bei einem nichtehelichen Kind zunächst die Mutter die Alleinsorge. Auf Antrag des Vaters oder der Mutter kann das Familiengericht dann die gemeinsame Sorge oder die Alleinsorge des Vaters anordnen – wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Die gemeinsame Sorge soll dabei Vorrang haben.

Diese Übergangsregelung gilt, bis der Bundestag ein neues Familienrecht beschließt. Erst vor wenigen Tagen hat Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ihre Pläne für eine Neuregelung vorgestellt. Danach soll bei einem unehelichen Kind grundsätzlich ein gemeinsames Sorgerecht der Eltern bestehen. Die Frau soll aber ein Widerspruchsrecht bekommen und kann damit eine Entscheidung des Familiengerichts erzwingen. Dort kommt es wieder darauf an, was dem Kindeswohl am besten diene. Ein Gesetzentwurf liegt noch nicht vor.

Az: 1 BvR 420/09