: Die Strompreis-Abzocker
STROMMARKT Studie: Konzerne geben ihre sinkenden Kosten nicht an Kunden weiter. Es geht um 1 Milliarde Euro
BÄRBEL HÖHN, GRÜNE
VON BERNWARD JANZING
Die deutschen Haushalte bezahlen in diesem Jahr insgesamt 1 Milliarde Euro mehr für ihren Strom als nötig. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Leverkusener Energieexperten Gunnar Harms im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen.
Vor allem werden die Preiserhöhungen des Konzerns RWE analysiert, der seit August von Haushaltskunden 7,3 Prozent mehr für die Kilowattstunde verlangt. Durch diesen Aufschlag, so heißt es in der Studie, würden „ungerechtfertigte Mehrerlöse“ von etwa 100 Millionen Euro erzielt. Die Begründungen, die RWE für die Preiserhöhung anführt, hält der Gutachter für „nicht nachvollziehbar“ – so zum Beispiel die angeblich gestiegenen Beschaffungskosten, während die Preise an der Strombörse seit 2008 sogar gefallen sind. Auch die Anfang 2010 gestiegene Umlage zugunsten erneuerbarer Energie rechtfertige nur eine Erhöhung um 0,7 Cent pro Kilowattstunde. RWE hingegen schlug jüngst um 1,5 Cent auf.
Die Studie berücksichtigt auch andere Preiskomponenten wie die Netzentgelte. Die bundesweite Studie kommt zu dem Ergebnis, dass „durchschnittlich circa 0,8 Cent pro Kilowattstunde an gesunkenen Beschaffungskosten nicht weitergegeben“ wurden. Bei einem Absatz von 131 Milliarden Kilowattstunden an Haushaltskunden ergibt sich für Deutschland der Betrag von rund einer Milliarde Euro. Hauptursache dieser Preispolitik sei der „immer noch nicht ausreichende Wettbewerb“, schreibt Gutachter Harms.
Bärbel Höhn, Bundestagsabgeordnete der Grünen, erklärte gestern, es sei „nicht hinnehmbar, dass der Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt immer noch nicht funktioniert“. Die „stark gesunkenen Einkaufspreise an der Börse“ müssten endlich von den Energieversorgern an die Kunden weitergegeben werden. Aus diesem Grund müsse „die Marktmacht von RWE und Eon dringend gebrochen werden“. Dies müsse unter anderem geschehen, indem der Gesetzgeber die Konzerne zum Verkauf von Kraftwerkskapazitäten anhält. „Eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken würde die monopolartige Stellung von RWE und Eon hingegen noch verlängern“, sagte Höhn – mit der Konsequenz weiter steigender Preise für Verbraucher ohne gestiegene Kosten bei den Stromkonzernen.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kritisierte hingegen, die Studie zeichne „ein völlig falsches Bild über die Wettbewerbssituation auf dem Strommarkt“. Der Vorwurf, es gebe keinen ausreichenden Wettbewerb, entbehre jeder Grundlage. „Wir haben hierzulande mit rund 1.100 Stromunternehmen eine Vielfalt, die in Europa ihresgleichen sucht“, sagte Hildegard Müller, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW. Die Unternehmen stünden „in einem harten Wettbewerb um Kunden“. Da könne es sich niemand erlauben, überhöhte Preise zu verlangen.
Zudem verwies der BDEW darauf, dass die Anbieter bei der Beschaffung von Strom „wettbewerbsbedingt unterschiedliche Strategien“ verfolgten. Die meisten Unternehmen hätten „den Großteil des Stroms, den sie heute an ihre Haushaltskunden liefern, in verschiedenen Tranchen bis zu drei Jahre im Voraus beschafft.“ Eine solche langfristige Beschaffungsstrategie minimiere grundsätzlich Risiken. Gutachter Harms geht jedoch nur von einer durchschnittlichen Vorlaufzeit bei der Strombeschaffung von 18 Monaten aus, womit die seit Mitte 2008 gesunkenen Börsenpreise aus seiner Sicht schon bei den Kunden hätten ankommen müssen.
Der Bundesverband Neuer Energieanbieter erklärte, dass kein Verbraucher gezwungen sei, „die Mondpreise der alten Energiewirtschaft“ zu akzeptieren. Der Wechsel des Anbieters sei „die einzig richtige Antwort auf das arrogante Preisgehabe“. Auch der Bund der Energieverbraucher riet zu einem Wechsel des Anbieters oder wahlweise auch zu dem aus Monopolzeiten noch bekannten Instrument, die Stromrechnung einfach zu kürzen.