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Archiv-Artikel

„Konsum ohne Schuldgefühl“

DISKUSSION Warum fair einkaufen nicht reicht, um die Bedingungen der ArbeiterInnen zu verbessern

Von MBW
Waltraud Waidelich

■ 57, Diplom-Sozialökonomin, ist Referentin für Konsumethik beim Frauenwerk der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche.

taz: Frau Waidelich, wer ist verantwortlich für Fairness und Nachhaltigkeit – HerstellerIn oder KonsumentIn?

Waltraud Waidelich: Es ist ein Verantwortungsdreieck: Unternehmen, Politik und KonsumentInnen stehen in einer Wechselwirkung zueinander. In den Medien erlebt man oft nur eine KonsumentInnenschelte: Die VerbraucherInnen seien schuld, weil sie niedrige Preise wollten. Die Verantwortung liegt aber stärker bei der Politik: Sie sollte Rahmenbedingungen gestalten.

Welche?

Richtlinien, unter denen Unternehmen agieren müssen. Ein faires Unternehmen hat höhere Kosten und dadurch einen Wettbewerbsnachteil. Der Staat muss für Verhältnisse sorgen, dass alle Unternehmen unter gleichen Bedingungen konkurrieren.

Und die KundInnen?

Sie müssen Prozesse anschieben und auf Missstände aufmerksam machen. Wir haben nicht nur als VerbraucherInnen, sondern auch als BürgerInnen Verantwortung. Nämlich indem wir uns für andere Strukturen einzusetzen. Wir könnten zum Beispiel die Handelsbeziehungen verändern, indem wir faire Löhne zum Bestandteil von Handelsverträgen machen.

Unterstützen wir es, dass Menschen ausgebeutet werden, wenn wir bei Billiglabels kaufen?

Auch hier muss die Politik handeln: Es gilt als ökonomisch rational, zu billig zu kaufen. Die KäuferInnen sind überfordert – auch angesichts der vielen unübersichtlichen Prüfsiegel – und haben Schuldgefühle. Ob TextilarbeiterInnen in Bangladesch faire Löhne kriegen, kann nicht eine Frage des Geldbeutels der VerbraucherInnen sein. Wer arm ist, hat dann keine Chance fair zu sein. Die Politik muss für gerechte Löhne sorgen. Diese verantwortungsvollen Aufgaben kann man nicht dem freien Markt überlassen.  INTERVIEW: MBW

Waltraud Waidelich diskutiert mit Pastorin Antje Heider-Rottwilm, Johannes Merck (Otto Group), Jörg Trautner (Bundesarbeitsministerium) und dem Philosophen Hilmar Schmiedl-Neuburg: 19 Uhr, Forum Alstertal, Kritenbarg 18