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: Sie jagen sich, sie schlagen sich, sie tanzen Walzer auf dem Dach

Lee Myung-Se zeigt in seinem Debütfilm „Nowhere To Hide“ die schlichte Schönheit von Gewalt

Woo heißt der Held und natürlich ist der Name Zitat und Reverenz an John Woo, den alten Meister aus Hongkong. Die Figur jedoch selbst, wie Joong-Hoon Park sie spielt, ist sehr viel mehr als nur das. Er reckt den massigen Kopf mit gebrochener Nase auf dem wuchtigen Körper nach vorne, er grinst und dann schlägt er zu. Woo ist Polizist und auf der Suche nach einem Mörder. Woo ist Polizist, aber einer, der vor brutalen Verhörmethoden nicht zurückschreckt. Er prügelt sich durch diesen Film, er ermittelt, ohne dass man genau versteht, was gerade passiert, er grinst und greift nach dem Baseballschläger, und am Ende ballt er, am Boden liegend, die Fäuste.

Woo ist in Lee Myung-Ses „Nowhere To Hide“ (1999) gewiss kein Held aus dem Lehrbuch. Zugleich übertrifft dieser koreanische Debütfilm an Stilbewusstsein vieles von dem, was man aus den glorreichen Zeiten Hongkongs so kennt. Seit den späten Neunzigerjahren boomt die koreanische Filmindustrie. Sie ist inzwischen nach Hollywood und Bollywood wohl eine der erfolgreichsten der Welt. Und doch erschöpft sich vieles bis heute im neuen koreanischen Blockbusterkino in Nachahmungstaten und Überbietungsgesten. Viele Regisseure verstehen ihr Handwerk, sind technisch brillant. Oft genug jedoch steht das Können zum so gekonnt Gesagten in keinem rechten Verhältnis: Ein ganz typisches Beispiel ist der gerade auch in Deutschland in einigen Kinos zu sehende historische Schlacht- und Schmachtfetzen „Brotherhood“ (2004), der sich in betäubenden Gewaltszenerien erschöpft. Auch der längst großfestivaltaugliche Park Chan-wook (Silberne Palme in Cannes 2004 für „Oldboy“) macht inzwischen mit reichlich Blut dekoriertes Angeberkino ohne viel Sinn und Verstand.

„Nowhere to Hide“ ist ein anderer Fall, obwohl auch hier auf den ersten Blick alles nach viel Stil, aber wenig Substanz aussieht. Die Ermittlungen von Detective Woo bestehen aus nicht viel mehr als Lauern und Kämpfen. Gelauert wird im Auto, gekämpft auf Hinterhöfen und Terrassen. Dazwischen wird verfolgt und gerannt. Inhaltlich geht nichts übers Polizeifilmklischee hinaus; auffällig aber ist die Betonung der actionfreien Polizeialltagssequenzen. Der Plot ist kaum mehr als Vorwand für Showeinlagen. Oder andersherum: Der Film ist eine einzige, mal verlangsamte, mal beschleunigte Show mit Plotresten. Trotzdem hängt alles zusammen, nicht zuletzt an der ungeschlachten Physis, dem fiesen Grinsen des grobianischen Helden Woo.

Vor allem aber geschieht in „Nowhere to Hide“ etwas ganz Unerwartetes: Das vermeintlich substanzlose Zuviel an Stil schlägt um in eine Substanz eigener Art. Schon die Szene des Mordes auf einer Treppe im Regen zu einschmeichelnder Musik kennt – auch wenn hier vermutlich die Potemkin’schen Treppen von Odessa zitiert sind – nichts ihresgleichen. Vom Hongkong-Kino nicht nur John Woos hat Lee Myung-Se die Kunst der Abstraktion gelernt, also sieht man kaum mehr als einen Schnitt und das Blut auf einer Hand in Großaufnahme. In Zeitlupe purzelt ein zerschnittener Regenschirm, das Opfer fällt, später sieht man, wie im Regen die weißen Umrisse des Ermordeten auf der Treppe ins Schwimmen geraten.

Der Actionfilmfortgang wird punktiert durch freeze frames eigener Art: das Bild wird stillgestellt, zum Tableau mit grafischer Textur. Das ist Spielerei und doch mehr als das, denn Lee gelingt in diesen und anderen Momenten die Balance von Ernst, Spiel, Abstraktion und atmosphärischer Verdichtung. Einmal kämpfen Woo und ein Verdächtiger auf einem Dach zwischen hängender Wäsche. Sie jagen sich und sie schlagen sich, doch plötzlich schlägt die Musik um und im Walzertakt tanzen nun die beiden gerade noch aufs Blut sich Bekämpfenden übers Dach. Eine weitere Kampfszene wird wie im Scherenschnitttheater zum entrückten Schattenspiel auf einer Häuserwand.

Die nun erschienene Doppel-DVD von „Nowhere to Hide“ bietet gleich zwei Versionen, das längere koreanische Original und die für den internationalen Markt vor allem um die banalen Alltagsszenen leicht gekürzte Schnittfassung. Die Extras, kurze Interviews mit den Darstellern, eine Aneinanderreihung der geschnittenen Szenen, sind eher wenig erhellend. Der Film aber spricht für sich und zeigt, wie ein Kino, das von Zitat und Stilbewusstsein ausgeht, in etwas ganz Eigenes und Erstaunliches umschlagen kann. Ja, aus dem Staunen kommt man beim Ansehen von „Nowhere to Hide“ nicht mehr heraus. EKKEHARD KNÖRER

Die Doppel-DVD ist bei Rapid EyeMovies erschienen und im Handel fürca. 21 Euro zu haben.