Vereint im Schwund

Auch in den USA leiden die Tageszeitungen an der Abwanderung ihrer Leser und Anzeigenkunden ins Internet. Dem Abwärtstrend begegnen die Verlage mit Formatverkleinerungen und Entlassungen

Aus Washington Adrienne Woltersdorf

Es kam nicht völlig überraschend. Aber es hatte apokalyptische Wirkung. Vergangene Woche bestätigte das amerikanische Wall Street Journal Gerüchte, dass es seine Seite 1 ab September für Werbekunden öffnen will. Spekulationen zufolge soll das dem Wirtschaftsblatt mehrere zehn Millionen Dollar im Jahr zusätzlich einbringen. Die meistgelesene US-Tageszeitung USA Today (2,2 Millionen Auflage) verkauft seit 1999 Anzeigen auf der Seite 1. Und selbst die elitäre New York Times (Auflage 1,1 Millionen) lockt seit Juni Werbekunden auf die erste Seite ihrer hinteren Bücher.

Der wenig überraschende Trend im schrumpfenden US-Zeitungsmarkt geht zu kleiner, weniger und billiger. Wie schon Washington Post und Los Angeles Times kündigte das Wall Street Journal (1,7 Millionen Auflage) für Januar im Zuge eines 100-Millionen-Dollar-Relaunches eine Formatverkleinerung an. Bei steigenden Papier- und Druckpreisen soll dies etwa 12 Millionen Dollar jährlich einsparen. Die New York Times will im April 2008 folgen – und einen Druckort mit 250 Angestellten einsparen.

Ins Internet abgetauchte JungleserInnen sowie eine alternde und daher schwindende Printkundschaft machen den Verlagen zu schaffen. Laut US-Prüfamt ist die Auflage aller Zeitungen im Zeitraum Oktober 2005 bis März 2006 im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent geschrumpft, bei Sonntagszeitungen sogar um 3,1 Prozent. Mitte der 80er-Jahre druckten US-Zeitungen 63,3 Millionen Exemplare täglich, heute nur noch 45,4 Millionen.

Der Branchenverband Newspaper Association of America will im Schwund gewisse Muster erkennen. So sollen sich die großen und kleinen Zeitungen besser behaupten können als die mittelgroßen. Ein weiterer Trend sei, dass an der Westküste noch weniger gelesen werde als an der Ostküste, dort allerdings müssen Verlage mit dichteren Highspeed-Internetangeboten sowie der schrumpfenden Bevölkerung kämpfen.

Trotz aggressiver Werbung berichten 20 der 25 größten US-Zeitungen von LeserInnenverlusten. Die fünf, die zulegen konnten, darunter die New York Times, USA Today, Chicago Tribune und Detroit Free Press, gewannen allerdings weniger als ein Prozent hinzu (zur verkauften Auflage deutscher Zeitungen siehe Medienticker). Erfreulich sei, so der Zeitungsverband, dass der Zugriff auf die Onlineangebote der Zeitungen dagegen allein in diesem Jahr schon um acht Prozent gestiegen sei. Die Einnahmen aus der Internetwerbung stiegen sogar um bis zu 30 Prozent pro Jahr – allerdings schlagen diese im Gesamtbudget der Printmedien nur mit durchschnittlich fünf Prozent zu Buche. „Es wird trotz dieses Tempos Jahre dauern, bis die Werbeeinnahmen aus dem Onlineauftritt den Verlust wettmachen können, den die wegbrechenden Printanzeigen ausmachen“, sagt Colby Atwood, ein auf Medien spezialisierter Analyst bei der Investmentfirma Borrell Associates. Vor allem die Automobil- und Veranstaltungsinserenten machten sich rar – Spiegel einer Krise in der Automobilbranche und gesunkener Einnahmen im Kultursektor. Inserenten würden dem Lesersturm auf die Onlineausgaben allgemein eher zögerlich folgen. Hinzu komme, dass man bis zu 100 Onlineleser brauche, um das Einkommen zu generieren, das ein Printleser bringe. Außerdem setzten der Branche Gratisanzeiger im Internet, wie die populäre „Craigslist“ (siehe Kasten), heftig zu.

Der größte US-Zeitungskonzern Gannett teilte im Juni mit, sein Profit sei um 11 Prozentpunkte gesunken. Selbst sein Flaggschiff USA Today habe 4,2 Prozentpunkte eingebüßt. Doch nicht alle blasen Trübsal. „Wir halten die Annahme für Quatsch, dass die Zeitungen sterben“, sagt Gary Pruitt, Vorsitzender des McClatchy-Medienkonzerns, der Verluste von rund 4,5 Prozentpunkten vermeldet. Erst vor zwei Monaten hat McClatchy die Verlagsgruppe KnightRidder für 4,5 Milliarden Dollar erworben. Anlass zu Hoffnung, so Pruitt, gebe die Vorhersage, dass die Druckkosten, die allein 2005 um 12 Prozent gestiegen sind, sich wieder stabilisieren werden.