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Archiv-Artikel

Wenn Denker zu sehr lieben

Der erst 20-jährige Arkadij Naiditsch ist Deutschlands bester Schachspieler. Berühmt aber machte ihn eine Schlägerei

DORTMUND taz ■ Bei seiner Premiere in der deutschen Nationalmannschaft hat Arkadij Naiditsch die Damen auf dem Brett tanzen lassen. Bei der Schach-Olympiade in Turin überragte der 20-Jährige, obwohl er auf Position eins zahlreichen Weltklassespielern gegenübersaß. Aber weniger sein glänzendes Abschneiden mit 6:4 Punkten brachte ihn vor zwei Monaten in die Schlagzeilen beim wichtigsten Mannschaftsturnier des königlichen Spiels. Dafür sorgte stattdessen eine Dame fern der 64 Felder: Arianne Caoili.

In Turin war Naiditsch ständiger Begleiter der australischen Nationalspielerin, so auch bei der Spielerparty. Doch als die 19-Jährige Internationale Meisterin dort mit dem Weltranglistendritten Levon Aronjan tanzte, kam es zum Skandal: Der Engländer David Gormally, der mit Caoili früher einige E-Mails ausgetauscht hatte, platzte vor Eifersucht. Der Großmeister stob auf den Armenier Aronjan zu und streckte ihn zu Boden. „Für Gormallys Attacke bestand überhaupt kein Anlass, schließlich war ich während des ganzen Turniers mit Arianne unterwegs“, erzählt Naiditsch, „Gormally hat sich wie ein englischer Hooligan im Fußballstadion benommen.“ Caoili pflichtet bei: „Wir haben nicht mal eng umschlungen getanzt.“ Dabei hatte der Brite noch Glück, dass er an den Falschen geraten war. „Ich mache seit fünf Jahren Karate“, berichtet Naiditsch.

Dass „Gormallygate“, wie die englische Boulevardpresse den Vorfall flink taufte, sein gelungenes Nationalmannschaftsdebüt in den Hintergrund drängte, nimmt der deutsche Spitzenspieler gelassen. Ob er und Caoili ein Paar sind, darüber schweigt sich Naidiscth aus. Aber in den nächsten drei Wochen erhält er zwei Gelegenheiten, wieder den Denksport in den Vordergrund zu rücken: Ab Samstag spielt der gebürtige Rigaer beim Sparkassen Chess Meeting in Dortmund. Und vom 15. bis 20. August kann sich Naiditsch bei den Chess Classic Mainz beweisen. Dort kämpft er auch gegen den Inder Pentala Harikrishna um die U 20-WM im Chess960, bei dem die Grundstellung der Figuren vor der Partie ausgelost wird.

Wichtiger für den Dortmunder ist jedoch das morgen beginnende, neun Tage währende Heimspiel. Im Vorjahr war ihm eine Sensation gelungen, als er der versammelten Elite – inklusive der Weltmeister Wesselin Topalow (Bulgarien) und Wladimir Kramnik (Russland) – das Nachsehen gab und dadurch bis auf Weltranglistenplatz 41 kletterte. Momentan steht er auf Position 46. Naiditsch mag erneut nicht der Favorit sein, glaubt aber dennoch, „ein gutes Turnier absolvieren zu können“. Dazu baut er auf das „schöne Gefühl in der heimischen Opernhalle“. Vor allem aber geht es ihm darum, „in solchen Turnieren unheimlich viel lernen zu können“. Die Chance, sich mit der absoluten Weltklasse zu messen, gaben ihm bis dahin nur die Veranstalter in Dortmund. Auch der Deutsche Schachbund (DSB) förderte sein in der Weltrangliste bestplatziertens Mitglied so gut wie nicht und vergab stattdessen die Chance, ein nationales Aushängeschild für den Sport aufzubauen. So musste Naiditsch acht Jahre auf den deutschen Pass warten, obwohl er wie US-Legende Bobby Fischer mit 15 bereits Großmeister geworden war und als Riesentalent galt. Weil ihm der Verband auch keinen Trainer zur Verfügung stellt, blieb er bei Honorarforderungen unnachgiebig, ehe er bei der Olympiade doch für ein paar Tausender erstmals den DSB vertrat und die Mannschaft aus Halbprofis zu Platz elf unter 148 Nationalteams führte. Aber Naiditsch will auch in der Einzel-Weltrangliste in die Top Ten und versucht einen Sponsor zu finden, der ihm für dieses Ziel einen Coach finanziert.

In Dortmund favorisiert Naiditsch noch vor dem 31-jährigen Weltmeister Kramnik einen Leidensgenossen: den Weltranglistendritten Aronjan. Der Berliner spielte nur kurz unter deutscher Flagge, ehe ihn der schlafmützige DSB zurück in die Arme von Olympiadesieger Armenien trieb. Aber nicht nur Aronjan und Naiditsch sind in Dortmund und Mainz am Start, sondern auch Caoili, wenn auch nur in den Nebenturnieren. Dass allerdings Schachhooligan David Gormally zu keinem der Wettbewerbe eingeladen wurde, dürfte Aronjan beruhigen. Karateka Naiditsch wird’s wohl egal sein.