Die Gefahr aus Teheran

Der israelische Krieg im Libanon lässt sich aus moralischen Gründen leicht verurteilen. Die Frage, wie sich Israel sonst gegen seine Bedrohung schützen soll, bleibt dabei offen

Aus der Perspektive reiner Moral kann es nur eine Forderung geben: den sofortigen WaffenstillstandWer nicht von Ahmadinedschad reden will, sollte von den Zivilopfern im Libanon schweigen

Israels militärische Offensive gegen die von Libanon aus operierende Hisbollah zu kommentieren ist eine Aufgabe, bei der sich die Feder sträubt. Kein anderer Konflikt strapaziert die politische Urteilskraft so sehr. Gleichwohl: Eine genaue Unterscheidung zwischen Politik, Recht und Moral kann Orientierung geben.

Aus der Perspektive reiner Moral kann es keine andere Forderung geben als die nach einem sofortigen Waffenstillstand. Reine Moral hat unnachsichtig auf Leben und Würde jeder einzelnen Person der libanesischen Zivilbevölkerung zu beharren, einer Bevölkerung, die bereits einen hohen Blutzoll hat zahlen müssen. Diese Menschen würden noch leben, hätte die Regierung Olmert sich nicht entschlossen, die Entführung zweier Soldaten zum Anlass zu nehmen, die Hisbollah, die die israelische Bevölkerung seit Monaten aus Judenhass mit Raketen quält, militärisch auszuschalten.

Anders erscheint die Lage, wenn man das Reich reiner Moral verlässt und sich aufs Glatteis von Politik und Völkerrecht begibt. Hier wird Israels Offensive nicht der Toten wegen, sondern der „Unverhältnismäßigkeit der Mittel“ wegen kritisiert. Israel, so die meisten Kommentatoren, habe einen völkerrechtlichen Anspruch auf Selbstverteidigung, jedoch: die eingeschlagene Strategie stehe in keinem (vernünftigen) Verhältnis zum ursprünglichen Ziel, der Befreiung zweier israelischer Soldaten.

Notabene: Wer so denkt, hat den unbedingten Anspruch eines jeden (unschuldigen) Menschen auf Würde und Leben preisgegeben und würde den Tod einiger Hisbollah-Milizionäre, einiger libanesischer Soldaten und Zivilisten im Rahmen einer begrenzten Befreiungsaktion billigend in Kauf nehmen, wenn damit Zeit für Diplomatie gewonnen wäre. Wer so argumentiert, unterwirft das Leben Ferner und Fremder einem fragwürdigen utilitaristischen Kalkül. Hat man sich jedoch einmal auf diese Ebene begeben, hat der Feldzug der israelischen Regierung gute Argumente für sich – sogar dann, wenn er weitere libanesische und israelische Zivilisten das Leben kosten sollte.

Tatsächlich ist es nach wie vor die vornehmste Pflicht eines jeden Staates, Leben und Wohlergehen seiner Bürger zu schützen; staatliche Organisationen, die dazu nicht fähig sind, haben bald ihre Legitimation und auch schnell ihre Existenz verloren. Werden Leben und Wohlergehen der Bürger vom Territorium eines anderen Staates aus bedroht, der kein Gewaltmonopol kennt und rechtsstaatlichen Interventionen gegenüber taub bleibt, ist gegen die von ihm ausgehende unmittelbare Gefahr auch militärisch einzuschreiten. Es obliegt dann alleine dem Ermessen des bedrohten Staates, die Gefährdung auszuschalten, wobei er an die Regel der Zweckmäßigkeit gebunden ist. Die aber ist zwar völkerrechtlich positiviert, inhaltlich jedoch nicht näher und schon gar nicht durch trennscharfe Kriterien bestimmt.

Was aber ist – jenseits von Moral und Macht – mit dem humanitären Kriegsvölkerrecht, mit der Genfer Konvention, die den Schutz von Zivilpersonen vorsieht? Was ist, wenn – wie im Libanon – der Aggressor seine Waffen bewusst und feige in Wohngebieten versteckt? Dann lässt das Kriegsvölkerrecht – moralisch völlig inakzeptabel – durchaus „Kollateralschäden“ zu.

Somit bleibt – immer noch politisch betrachtet – jene Frage, die viele selbst ernannte Freunde Israels umtreibt, ob nämlich diese militärische Offensive dem Staat Israel langfristig nützt; ein Problem, das sich aus der sicheren Distanz – sagen wir des sommerlich heiteren München, wo die Süddeutsche Zeitung, oder von Hamburg, wo bei leichter Brise der Spiegel erscheint – offenbar besser beurteilen lässt als von dem durch Raketenanschläge um seine Objektivität gebrachten Israel aus. Derlei „Freunde“ kommen in aller Regel zu dem banalen Schluss, dass es einer nahöstlichen „Gesamtlösung“ bedarf, die vor allem eine „Lösung“ des „Palästinenserproblems“ beinhalten müsse.

Spätestens an diesem Punkt offenbaren sich derzeit unüberbrückbare Grundüberzeugungen. So machen die Kritiker Israels vor allem dessen Palästinenserpolitik, vielleicht noch die USA für Krieg und Krise „in der Region“ verantwortlich und erklären die anderen Akteure – Hamas, Hisbollah und Teheran – zu unzurechnungsfähigen Naturgewalten. Andere hingegen schreiben die Verantwortung für das Desaster dem mit einem nuklearem Genozid drohenden, klerikalfaschistischen Regime in Teheran und seinen Handlangern im Libanon zu, die beide die Palästinafrage für ihre Zwecke gekidnappt haben. Wer aber von Ahmadinedschad, seiner Holocaust-Leugnung und seinen Vernichtungswünschen gegenüber Israel nicht reden will, sollte von libanesischen Zivilopfern und drangsalierten Palästinensern schweigen.

Nein, das Palästinaproblem ist nicht die Wurzel des Übels. Wer ernsthaft glaubt, dass die oft fatale israelische Politik gegenüber den Palästinensern die Ursache der Krise in der arabisch-islamischen Welt ist, soll bitte erklären, warum im Irak seit Beginn dieses Jahres sage und schreibe neuntausend (!) Menschen Selbstmordattentaten zum Opfer gefallen sind, warum im Iran Menschen- und Frauenrechte systematisch unterdrückt werden und warum in Syrien hinter der Fassade einer gewissen Modernität eine brutale Diktatur herrscht. Etwa wegen Gaza?

Liebenswerte Zeitgenossen werfen darauf meist ein, dass eine Lösung des Palästinenserproblems die Erregung der „arabischen Massen“ dämpfen und der Zivilgesellschaft Raum zur Entfaltung geben würde. Wir fragen zurück: Verstehen wir recht, dass die „arabischen Massen“ keine eigenen materiellen oder politischen Interessen haben, sondern bei allem, was sie brauchen, wünschen und wollen, zuallererst an „Palästina“ und an sonst gar nichts denken? Und deswegen auf Wohlstand, Rechtsstaat und Demokratie erst dann dringen können, wenn die „Palästinafrage“ beantwortet ist?

Dem mag so sein. Aber wenn dem so ist, dann werden weder ein Waffenstillstand noch die Nato und auch kein Palästinenserstaat etwas ausrichten können. Denn dieses von Teheran aus beschworene „Palästina“ stellt eine Phantasmagorie dar, deren Kern ein „judenreiner“ Naher Osten ist. Dieses Phantasma widerspricht jedoch der Realität, weswegen so lange arabische Zivilisten sterben müssen, bis ihre Führer eingesehen und anerkannt haben, dass sie diese Realität nicht ändern können.

Der universalen Moral und des in Israels Gründungsurkunde niedergelegten prophetischen Erbes wegen muss die israelische Regierung gleichwohl sofort, einseitig und ohne jede libanesische Gegenleistung die Waffen ruhen lassen! Für die Politik der internationalen Gemeinschaft folgt daraus: die konsequente Entwaffnung der Hisbollah, ein robustes Mandat der Nato, um Israels Norden zu schützen, und vor allem: ein konsequentes und geduldiges Eindämmen des iranischen Klerikalfaschismus mit dem Ziel, dies Regime erst von Nuklearwaffen fernzuhalten und dann von der eigenen Bevölkerung ablösen zu lassen. MICHA BRUMLIK