Parteien drängeln sich ins Bild

Berlin wird wieder mit Wahlwerbung zugeklebt. CDU und SPD präsentierten gestern ihre Großplakate. Dafür wird’s höchste Zeit: Viele Berliner wissen noch nicht, dass am 17. September das Parlament gewählt wird. Oder sie erwarten sich nichts davon

von GEREON ASMUTH

Erster Akt: Mehr müsste die CDU über ihr Ziel gar nicht sagen. Sie hat die Journalisten ins Café Viktoria geladen, um ihre Wahlplakate zu präsentieren. Im Schatten der Siegessäule. Viel mehr Anspielung geht nicht. Leider spricht dann noch Generalsekretär Frank Henkel. Die Plakate seien aus den Parteifarben Orange und Schwarz gesetzt. Dank Duplexverfahren entstehe im Druck ein vielsagender Sepiaton.

Henkel kann den Verkehrslärm auf dem Bürgersteig am Großen Stern trotz Mikrofon nicht übertönen, die meisten Passanten eilen vorbei. Dabei würde sie glatt überraschen, was sie zu hören bekommen. Sie haben noch gar nicht mitbekommen, dass am 17. September das Abgeordnetenhaus neu gewählt wird. Eine von Hartz IV lebende Radfahrerin weiß immerhin, dass der Mann da auf dem Poster Bürgermeister von Berlin werden will. Aber ändern werde die Wahl sowieso nichts, meint sie. Dafür sei „der Wowereit viel zu beliebt“.

Im Biergarten liest währenddessen Friedbert Pflüger seine Wahlkampfargumente vor. Es sind hauptsächlich Vorwürfe an Rot-Rot. Mehr Arbeitslose, weniger Lehrstellen, mehr Schulden, höhere Preise, zählt der gut gebräunte CDU-Spitzenkandidat auf: „Berlin ist ärmer geworden in den letzten fünf Jahren.“ In einem Bundesländer-Ranking stehe Berlin auf dem vorletzten Platz, lästert er. „Dafür hat die Stadt die höchsten Kitagebühren bundesweit.“

Wenige Meter weiter genießt ein Eisverkäufer seinen freien Tag. Die Präsentation der Christdemokraten interessiert ihn nur mäßig – seinetwegen könne sowie alles so bleiben, wie es ist. Beim letzten Urnengang 2001, da sei es spannender gewesen. Diesmal sei „die Wahl nicht gerade das bewegende Thema“. Während der Eisverkäufer davonradelt, umrunden zwei Pick-ups mit CDU-Großplakaten die Siegessäule. Pflüger klettert auf die Ladefläche und wirft sich in Positur. „Wie heißt der? Flügel?“, fragt ein Passant. Nein, von dem Mann habe er noch nie gehört.

Rückblende: Der Berliner Wahlkampf 2001 bewegte die Republik. Im Juni stieg die SPD unter großem Getöse aus der Koalition mit der CDU aus, weil die Christdemokraten in den milliardenschweren Bankenskandal verstrickt waren. Dann bekannte sich Klaus Wowereit (SPD) öffentlich zu seiner Homosexualität und ersetzte wenig später Eberhard Diepgen (CDU) als Regierenden Bürgermeister – gewählt wurde er mithilfe der Stimmen von Grünen und PDS. Die CDU bezeichnete das als „linken Putsch“, doch das nutzte ihr nichts mehr. Bei Neuwahlen im September 2001 verlor die CDU 17 Prozentpunkte und rutschte auf 23,8 Prozent. Aber auch einigen Sozialdemokraten ging die Zusammenarbeit ihrer Partei mit den „Exkommunisten“ zu weit. Viele traten aus – auch weil die Verhandlungen über eine Ampelkoalition scheiterten und Wowereit mit dem PDS-Spitzenkandidaten Gregor Gysi ein Bündnis schloss. Dem Politikwechsel folgte allerdings nicht der Untergang des Abendlandes. Stattdessen setzte der rot-rote Senat auf eine rigorose Sparpolitik, um den maroden Haushalt zu sanieren. Immer wieder protestierten Tausende gegen den damit einhergehenden Sozialabbau. In den letzten zwei Jahren aber wurde es deutlich ruhiger.

Zweiter Akt: Eine Stunde nach der CDU-Präsentation argumentiert auch die SPD mit einem Ranking Berlins und den Kitagebühren. „Konsequent ideenreich: Platz 2 der innovativsten Regionen Deutschlands“ heißt es auf einem ihrer vier Großplakate, die Wahlkampfleiter Rüdiger Scholz auf einer Parkwiese im Wedding aufstellen ließ. „Das letzte Kitajahr ist ab Januar gebührenfrei“, verkündet ein zweites Plakat. Das künftig kostenlose Kitajahr haben Eltern zwar eher der PDS zu verdanken. Aber so ganz ernst möchte die SPD ihre Plakate auch nicht verstanden wissen. „Konsequent gastfreundlich: Über 6 Millionen Gäste lieben unseren Humor“, prangt auf einem dritten Motiv unter dem Bild eines Taxifahrers. „Das hat schon eine gewisse Form von Ironie“, erklärt der Wahlkampfleiter, der dank einer roten Krawatte leicht als Sozialdemokrat erkennbar ist.

Das fällt bei einem nur wenige Meter weiter vorbeispazierenden Rentner nicht so leicht. Anders als viele, vor allem junge Passanten hat er zwar vom Wahltermin gehört. Die Politiker aller Parteien aber wollten bloß ihre Sitze behalten, ändern wolle keiner mehr etwas, schimpft der 70-Jährige. Zwar bleibe er im Herzen Sozialdemokrat, aber seine Stimme will der Weddinger niemandem mehr geben. Auch die anderen Passanten vermissen den Mut zur Veränderung. Konsequenteren Umweltschutz fordert eine Dame mit sommerlichem Blumenstrauß im Arm. Weniger Unterrichtsausfall für ihre Enkel wünscht ein Frau an der Bushaltestelle. Einzig eine radikale Demokratisierung nach Schweizer Modell könne wirklich Reformen bringen, meint ein 36-jähriger EDV-Techniker. Nur an Verbesserungen durch die Wahl im September, daran glaubt hier in Sichtweite der frischen SPD-Plakate niemand.