: Auslaufendes Hartz-Modell
Für die Arbeitsagenturen ist die Ich-AG ein Erfolg. Denn Betroffene gelten nicht mehr als erwerbslos, sondern wursteln sich allein durchs Leben. Ab morgen gelten für Existenzgründer neue Regeln
VON RICHARD ROTHER
Nach einigen Monaten hatte Christine Mahn* die Nase voll. Statt weiter ohne Lohn für eine windige Agentur zu arbeiten, ging die Computerspezialistin zurück in die Arbeitslosigkeit – und machte sich dann selbstständig als Coach in Computerfragen. „Ich will von keinem Arbeitgeber mehr so über den Tisch gezogen werden“, sagt Mahn. Drei Monate ohne Lohn und allein gelassen von den Behörden seien genug. „Jetzt bin ich wenigstens mein eigener Chef.“ Allerdings reiche das noch nicht zum Leben.
Um Arbeitslosen den Start in die Selbstständigkeit zu erleichtern, gibt es verschiedene Fördermöglichkeiten – die bekannteste war wohl die so genannte Ich-AG, die im Zuge der Hartz-Reformen eingeführt wurde. Sie wird aber wie auch das so genannte Überbrückungsgeld ab morgen durch den neuen Gründungszuschuss für Arbeitslose ersetzt (siehe unten).
Für die Regionaldirektion der Arbeitsagentur waren die bisherigen Förderinstrumente ein Erfolgsmodell. Das Überbrückungsgeld sei ein sehr altes Instrument, so Behördensprecher Olaf Möller. Aber auch die Ich-AG, bei der die Arbeitsagenturen drei Jahre lang einen jährlich sinkenden Zuschuss zahlten, habe sich bewährt. Ihre Anzahl sei stark gestiegen. Waren es Ende 2003 noch 6.700, so zählte die Agentur zwei Jahre später schon 17.000. Ende Juni dieses Jahres, als das Fördermodell offiziell auslief, pendelte sich die Zahl bei etwa 16.000 ein. Zum gleichen Zeitpunkt wurden etwa 4.000 Berliner mit Überbrückungsgeld gefördert. Dabei erhält der Selbstständige sechs Monate sein bisheriges Arbeitslosengeld.
„Die Ich-AG war ein gutes Instrument für die Region“, zieht Möller eine erste Bilanz. Sie habe vielen Betroffenen einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit gezeigt. Allerdings sei ein wichtiger Grund für ihren Boom die relativ schlechte Arbeitsmarktsituation in den vergangenen drei Jahren gewesen. Übersetzt heißt das: Bevor ein Arbeitsloser gar nichts – nicht einmal eine Weiterbildung – findet, versucht er, sich selbstständig zu machen. Viel zu verlieren hat er ja nicht: Im besten Fall läuft seine Geschäftsidee super oder er findet anderswo einen Job, im schlimmsten Fall landet er bei Hartz IV, nur eben ein paar Monate oder Jahre später.
Mitnahme-Effekte sind dabei natürlich nicht auszuschließen. Entsprechend verschärft wurden bereits Ende 2003 die Bedingungen, die ein Arbeitsloser erfüllen muss, um das Geld zu erhalten. Andererseits: Wer den letzten Strohhalm greift und selbstständig wird, hat eine Motivation, dies so erfolgreich wie möglich zu tun. Dass sich viele Ideen dennoch nicht am Markt behaupten können, ist nicht nur der Naivität der Gründer, sondern auch der schlechten Wirtschaftslage geschuldet – in Berlin versuchen schließlich die meisten Menschen, so wenig wie möglich Geld auszugeben, weil sie wenig haben.
Zudem mangelt es oft nicht an Ideen, aber an betriebswirtschaftlichem Realitätssinn. Ein Beispiel: Ein Arbeitsloser könnte sich überlegen, einen Gassi-geh-Service für berufstätige Hundehalter zu organisieren. Angenommen, er könnte 10 Euro pro halbe Stunde für diese Dienstleistung verlangen – was in einer Stadt, die Haarschnitte für 5 Euro und Döner für 2 Euro bietet, schon sehr viel wäre. Um damit eine selbstständige Existenz – mit Versicherungen, Transport- und Verwaltungskosten – zu sichern, müsste er im Durchschnitt für sechs bis zehn Stunden täglich Aufträge akquirieren. Ziemlich unwahrscheinlich, dass sich schnell ein so großer Kundenkreis findet, der die Dienstleistung genau dann nachfragt, wenn der Anbieter Zeit hat. Eine Chance hätte der Selbstständige vielleicht dann, wenn er teure Zusatzdienste wie Hundeerziehung verkaufen kann oder er mehrere Hunde gleichzeitig betreuen kann.
Solche Hinweise sollen die Prüfer, die die Geschäftsideen der Gründer begutachten, künftig verstärkt geben. „Ein prüfendes Auge ist gut, weil es den Gründern hilft und Selbstüberschätzungen vermeiden kann“, sagt Möller. Der neue Gründungszuschuss werde sicher auch gern angenommen.
Der Erfolg oder Misserfolg der Ich-AG lässt sich allerdings weder aus den reinen Bestands- noch aus den Abbruchzahlen ablesen. So gibt es Ich-AGs, die sich mehr schlecht als recht mit wenig Geld durchs Leben wursteln, obwohl sie Anspruch auf eine höhere Grundsicherung hätten. Und nicht jeder Abbruch einer Selbstständigkeit heißt, dass die Geschäftsidee gar nicht funktionierte. Immerhin zwei Fünftel der Abbrecher habe einen neuen Job gefunden, hat das Arbeitsmarktforschungsinstitut der Bundesagentur in einer deutschlandweiten Studie herausgefunden. Die Hälfte aber war wieder – arbeitslos.
* Name geändert