: Pimp my Stadtranderholung
Das „Berlin Festival“ in Paaren im Glien gab auch im zweiten Jahr seines Bestehens Rätsel auf: Obwohl Line-up, Getränkepreise und Abenteuergefühl stimmten, fehlte es den Besuchern an Masse und Begeisterung. Zwei lange Tage im Shuttlebus-Stress
VON DAVID DENK UND ANDREAS HARTMANN
Samstag
Das selbst betitelte Debüt von Franz Ferdinand ist zweifellos ein sensationelles Album, an dem man sich kaum satt hören kann. Und doch ist es beruhigend zu wissen, dass „Franz Ferdinand“ nicht die einzige Platte unter Gottes Sonne ist. Das konnte man am Samstag beim „Berlin Festival“ in Paaren im Glien glatt vergessen, denn zwischen den Auftritten von Sultans of Ping, Soffy O., The Raveonettes, Stereo Total und Zoot Woman lief Franz Ferdinand. Und Franz Ferdinand. Und Franz Ferdinand. Wenn die großen Namen bei uns schon nicht auf der Bühne stehen, dann müssen sie zum Ausgleich eben aus den Boxen dröhnen, schien sich ein Stratege gedacht zu haben.
Irgendwann hörte man nicht mehr die immer gleichen Hits, sondern dechiffrierte die Musik als Hilferuf, als flehentliche Bitte gen Glasgow: Franz Ferdinand, pimp my festival! Es fehlte wohl schlichtweg an zugkräftigen Acts, um die Berliner zur Umlanderkundung zu animieren. Denn allein für den King Imbiss, das Sunshine-Sonnenstudio, den Tennisclub Gelb-Weiß Falkensee, das Bestattungsinstitut Stresow und all die anderen Attraktionen am Wegesrand lässt sich keine Stadtpflanze vorübergehend umtopfen.
Eine gute halbe Stunde dauerte die Fahrt vom Bahnhof Spandau zum Festivalgelände – doch in den Shuttlebus zu kommen, war ein sehr viel langwierigeres Unterfangen. Anderthalb Stunden fuhren genau ein Reise- und ein Kleinbus – ohne mich und viele andere. Die Service-Damen vom Veranstalter bemerkten wir erst, als sie uns irgendwann mitteilten, dass Frauen und Kinder zuerst in den nächsten Bus dürften – ganz so, als stünden wir an den Rettungsbooten der „Titanic“ Schlange. Es war so langweilig, dass wir uns doch tatsächlich das Pfand für die im Kiosk nebenan gekauften Bier- und Wasserflaschen wiedergeholt haben. Danach durften diejenigen mit von den Damen verteilten Karten einsteigen, deren Vergabekriterien nur sie und Gott allein kannten. Als sie irgendwas von Wartezeit faselten, wäre ich ihnen am liebsten ins Gesicht gesprungen. Mit Anlauf.
Dringend nötige Erholung gab es dann irgendwann im Märkischen Ausstellungs- und Freizeitzentrum Paaren – mehr als einem lieb sein konnte. Ein paar hundert (!!!) Besucher verloren sich auf dem Gelände, Stadtranderholung für urbane Penner, die mal rauskommen wollten aus dem Elektrosmog ihrer Apple-Laptops. Das war nicht etwa ein Rockfestival, sondern ein Sommerfest im Kurpark. Für die Rückfahrt wurde einem angst und bange: Kaum jemand baute ein Zelt auf. Das notorisch gelangweilte Indievolk im Publikum wirkte regelrecht sediert: Für The Raveonettes, die Rocker aus einer dänischen Garage, hatten sie höchstens hin und wieder ein Kopfnicken übrig. Und auch der trilinguale Klamauk von Stereo-Total-Sängerin Françoise Cactus scheiterte am dem Bier offenbar großzügig beigemischten Beruhigungsmittel.
Die weiteren Acts ließen sich davon anstecken und schrubbten lustlos ihr Programm runter, Soffy O. thematisierte als Erste die kollektive Langeweile und sorgte für den mit Abstand spannendsten Moment: „Habt ihr keinen Spaß?! Wir machen hier noch zwei Stücke. Dann verlassen wir die Bühne.“ Viele Stunden, Rumpsteaks und Gläser Riesling später (ist nur Spaß, gab’s aber alles!) verließen wir nach einer diesmal allerdings von der Kassenfrau Rania beträchtlich versüßten Wartezeit Paaren im Glien: Von der Ansage „Der nächste Bus kommt gleich!“ ließen wir uns dabei nicht mehr irritieren und quetschten uns in den vorgefahrenen Kleinbus. Viele andere sitzen womöglich immer noch da. DD
Sonntag
Eigentlich war alles optimal. Der übliche Festival-Horror stellte sich nicht ein. Es bildeten sich keine endlosen Schlangen vor Dixi-Klos in desolatem Zustand, die Getränke waren nicht hoffnungslos überteuert, Besoffene fielen kaum auf, andere Drogen als Alkohol schienen sowieso keine Rolle zu spielen. Wer wollte, konnte jederzeit seine Lieblingsband in der ersten Reihe bestaunen. Denn auch heute gab es hier keinen Platzmangel: Das Berlin Festival bleibt eine Familienangelegenheit und Indierock-Freunde blieben unter sich. Man fläzte sich auf der Festivalwiese gleich neben Schweinestall und Truthahngehege und wartete darauf, dass sich irgendetwas ereignete.
Warum das Berlin Festival wieder nicht funktionieren wollte, warum wieder viel zu wenige kamen, ist ein Rätsel. Festivals in den hinterletzten Kuhkäffern laufen seit ein paar Jahren eigentlich ganz gut, speziell in diesem Jahr mit dem tollen Sommer musste man doch nur „Camping und Musik“ sagen, die Namen von ein paar mittelprächtig bekannten Bands nennen und schon wurden sofort Autokorsos gebildet.
Vielleicht liegt das Problem des Berlin Festivals einfach nur an dessen Namen. Denn der suggeriert ja, dass man auf der Suche nach guter Musik und Abenteuern doch wieder bloß in Berlin landet, da, wo man eben sonst auch immer ist. Der Unique Selling Point – dass man nämlich stundenlang durch die Pampa rausfährt – würde im – Vorschlag! – Namen „Draußen auf dem Acker“-Festival deutlicher und das Event so sicherlich für viele attraktiver.
Auch am Sonntag schienen sich nicht nur die Besucher, sondern auch die Bands hier draußen etwas verloren vorzukommen. Der Sänger der Tages-Headliner, Ian McCulloch von Echo & The Bunnymen aus Liverpool, wird sich unter einem Berlin Festival auch etwas anderes vorgestellt haben als eine Bühne irgendwo im Niemandsland. Er begrüßte sein Publikum zumindest mit der irritiert-amüsierten Bemerkung, dass er gerade nicht so genau wisse, wo er sich hier befinde.
Dank Nebelmaschine und Lightshow schafften es Echo & The Bunnymen dann aber sogar zu so etwas wie Dramatik. Vorher hatte es die eigentlich sichere Partyband Mediengruppe Telekommander schwer gehabt, in der 18-Uhr-Hitze ein bisschen Publikum, das nie ganz bei der Sache schien, für sich zu gewinnen. Bei Chikinki aus England entschieden sich einige dann immerhin zu ein wenig Schwitzen.
Man befand sich halt irgendwo, wo man auf keinem Fall begraben werden möchte, und fühlte sich zudem immer ein wenig gehetzt und auf dem Absprung – ja nicht den Shuttlebus zurück in die Zivilisation verpassen. Ein einsamer DJ spielte noch irgendwo auf dem Gelände totsichere Abgeh-Hits von Hot Chip und anderen. Wenigstens an dieser Stelle hätte man sich ja mal gehen lassen können, was aber auch wieder nicht der Fall war. Der DJ legte die meiste Zeit für sich selbst auf. Vielleicht hat ja der Pfau in seinem Stall um die Ecke unbemerkt von allen zu den schönen Klängen ein prachtvolles Rad geschlagen. AH