BEI DER ZAHNÄRZTIN
: Ohne Gebühr

„So schlimm wird’s nicht“, beruhigt mich die Ärztin

Ich sitze im Stuhl. Also eigentlich liege ich, denn es ist so ein Zahnarztstuhl, und in dem sitzt man nur ein paar Sekunden lang und dann wird man nach hinten und runtergekippt und liegt eben eher, als dass man sitzt. Trotzdem schafft meine Zahnärztin es irgendwie, ihre Hand beruhigend auf meinen Rücken zu legen. Das ist klasse, denn ich hab immer Herzklopfen, wenn ich bei ihr bin, und leider liegt das nicht an ihr als Person, sondern an ihrem Beruf.

„Tolle Zähne haben Sie da!“, sagt sie, kaum dass sie mir in den Mund geschaut hat. Ich denke ja, meine Zähne sind krumm und auch nicht ganz weiß und deswegen alles andere als toll, aber wenn meine Zahnärztin sagt, die sind toll, und das auch noch so enthusiastisch, wird das schon stimmen. Aber dann runzle ich doch die Stirn. Vielleicht sagt sie das ja zu allen oder einfach nur so und findet heimlich, dass meine Zähne gezogen gehören. Alle. Heute. Ich seufze.

„So schlimm wird’s nicht“, beruhigt mich die Ärztin. „Eigentlich …“, sie kratzt ein bisschen am Zahnschmelz herum, „müssen wir heute gar nichts machen bei Ihnen.“ Und schon reicht sie mir den Becher zum Spülen und fährt den Stuhl wieder hoch.

Ich spüle und schaue sie an, etwas perplex, wie vor fünf Jahren oder so. Da ist mir das schon mal passiert, dass gar nichts zu machen war, und ich hab’s mir gemerkt, weil ich dann keine Praxisgebühr zahlen musste. Jetzt gibt’s die Praxisgebühr nicht mehr, und das find ich schade. Weil das ist doch ein tolles Gefühl, die nicht zahlen zu müssen.

So ohne Gebühr bleibt mir jetzt nichts, als meine Zahnärztin zu umarmen statt ihr einfach die Hand zu schütteln. Jetzt ist sie perplex, aber egal. „Bis nächstes Jahr“, verabschieden wir uns, und fast bin ich traurig. Und das hab ich nun gar nicht erwartet, Trauer über das Ende eines Zahnarztbesuches, aber dann wiederum ist das doch toll, genauso toll wie meine Zähne. JOEY JUSCHKA