: „Aus dem Knall kommt oft Gutes“
Verliebt in den Underground und die Nächte im Club: Ipek Ipekcioglu, DJ-Star der „Gayhane“-Clubnacht im Kreuzberger SO 36, bringt in ihrer neuen Compilation „Beyond Istanbul“ den Clash zwischen ländlicher und europäisierter Türkei zum Hören
INTERVIEW KIRSTEN RIESSELMANN
taz: Eine Berliner DJ, die Türkin ist, stellt für ein deutsches Label eine Compilation zusammen, die „beyond Istanbul“ blicken will, also über Istanbul hinaus, bis in die tiefsten Tiefen der „Underground Grooves of Turkey“. Ein anspruchsvolles Unterfangen!
Ipek Ipekçioglu: „Beyond Istanbul“ deswegen, weil die musikalische Türkei mehr ist als Istanbul. Sie ist auch bei den Roma in Tekirdag, bei den Kurden, in New York oder bei in Österreich lebenden Bosniern. Überall dort werden elektronische Beats mit folkloristischen Elementen gemischt. Ich liebe diesen Clash, dieses Spielen mit Identitäten und mit Musik – den Moment, wenn man denkt, das geht auf keinen Fall zusammen. Und dann geht es aber eben doch.
Wie haben Sie von Berlin aus diese hybride Musik, die ja vor allem auf türkischen Kleinlabels veröffentlicht wird, aufgespürt?
Ich fahre zwei- bis dreimal im Jahr in die Türkei und gehe da in die CD- Läden – Plattenläden gibt’s da nicht mehr, Vinyl war für die Türken gestern! Und dann verfolge ich sehr genau, was die drei für mich interessantesten Istanbuler Labels so herausbringen: Doublemoon, Elec-Trip und Kalan. Deren Musik kann man sogar schon auf Radio Multikulti hören.
Deswegen sind die Künstler, die ich auf der Compilation versammelt habe, den europäischen Worldmusic-Hörern sehr viel bekannter als dem durchschnittlichen türkischen Pop-Hörer – der es mit House oder Rock am liebsten so untürkisch wie möglich will.
Ist die Platte dann vor allem Bildungsarbeit am türkischen Hörer?
Nein, diese Compilation ist nicht für die Türkei, sondern für Europa gemacht – als Überblick über die Entwicklung der türkischen Musik in den letzten Jahren. Mein Begriff von Underground hat übrigens nichts mit „dem Unbekannten“ zu tun, sondern mit sozialen, politischen und kulturellen Backgrounds. So war zum Beispiel die Musik von Sivan Perwer und Aynur jahrelang in der Türkei verboten, weil sie kurdisch sind. Heute müssen ihre CDs zwar nicht mehr unter dem Ladentisch verkauft werden, aber mit Auftritten ist es immer noch schwierig.
Ich bin eine von nur zwei türkischstämmigen DJs, die überhaupt kurdische Musik in ihre Sets nimmt. Die Sängerin Nil Karaibrahimgil, die auch auf der Compilation ist, ist durch ihre Rolle in einem TV-Werbespot berühmt geworden und sehr erfolgreich. Aber sie singt eben nicht über die ewigen Türkpop-Liebesthemen, sondern witzig über Mädchenprobleme. Das ist für mich Underground genug.
Auf „Beyond Istanbul“ finden sich gleich vier Interpreten, die schon in Fatih Akins Istanbulmusikfilm „Crossing the Bridge“ vorgestellt wurden. Ist der große Hype um Istanbul als „der“ brodelnden Musikstadt um eine doch sehr überschaubare Zahl von Protagonisten gestrickt?
Ja, das stimmt. Das Nachtleben – Clubs und Strandbars – wächst in Istanbul gerade stärker als die Musikerszene. Was aber eben wirklich weiterhin passiert in dieser Stadt, ist der Kulturclash zwischen ländlicher und europäisierter Türkei. Aus diesem Knall entsteht einfach meistens etwas Gutes.
Ist das nicht auch ein für Marketingstrategen sehr brauchbares Klischee?
Nein, das ist wirklich so. Und schön, dass es so wahrgenommen wird, nach all den Jahren, in denen man sich hier nicht vorstellen konnte, dass die Türkei in der Lage ist, sich zu entwickeln, vielfältig zu sein. Da hat „Crossing the Bridge“ sicherlich seinen Teil dazu beigetragen. Trotzdem aber ist meine CD definitiv keine Fatih-Akin-CD!
Die Überschneidungen kommen deshalb zustande, weil ich an der Compilation schon so lange sitze – da war Fatihs Film noch gar nicht im Kino. Anscheinend haben wir beide den gleichen Geschmack.
Was hat so viel Zeit gekostet?
Die Stücke von den türkischen Labels zu bekommen. In der Türkei kennt man keine Compilations. Aus Eitelkeit und wegen Vorbehalten anderen Künstlern oder Labels gegenüber haben viele die Tracks, die ich angefragt hatte, nicht freigegeben. Oder wollten astronomische Vorschüsse, die für Compilations nicht üblich sind. Gut, dass wenigstens Doublemoon und Elec-Trip so umgänglich waren und keine großen Dramen veranstaltet haben.
Dafür hört man jetzt auch eine ganze Menge von deren Sound: Viel entspannt verhangener Downbeat – mit Dub-Bass, groovy Percussion-Geklöppel, alten türkischen Kunstgesang-Einsprengseln und traditionellen Instrumenten wie Saz (Laute) und Zurna (Schalmei). So ein bisschen „Café del Mar“ à la turka – allerdings mit einem sehr reichhaltigen Booklet dazu.
Die Compilation mag einen Downbeat-Schwerpunkt haben, aber dabei darf man nicht die andere tolle Hälfte vergessen: kurdischer Kreistanz, Hiphop, Romadance, Ska, Indierock, Reggaeton und eine 70er-angehauchte Fantazy-Popballade.
Haben Sie die einzelnen Tracks beim Auflegen bei Ihrer „Gayhane“-Nacht ausprobiert?
Ja klar! Ich mag ja alles, was drauf ist, und da ich eine sehr emotionale DJ bin, lege ich natürlich das auf, was ich mag. Die Compilation habe ich dann dramaturgisch nach DJ-Kriterien zusammengestellt: ein entspannter Einstieg, dann so nach und nach die tanzbaren Floorfiller und am Ende ein absoluter Gänsehaut-Verursacher.
Wie laufen denn die Gayhane-Nächte in der letzten Zeit?
Na ja, es ist weiterhin sehr voll! Und es kommen immer mehr Heteros. Zu Recht fühlen sich Lesben und Schwule manchmal ihres Raums beraubt, den sie sich hart erkämpft haben. Wir versuchen jetzt, über die Türpolitik das Ganze im Gleichgewicht zu halten.
Aber ich finde es natürlich grundsätzlich gut, dass die Türkei sowie die Migranten im Moment in Deutschland so viel sichtbarer werden. Ich freue mich über das Interesse an türkischer oder türkisch beeinflusster Musik. Ich finde gut, dass auch in die Musik, die in England oder in den USA produziert wird, immer häufiger Oriental- oder Asian- Samples einfließen – Stichwort Panjabi MC. Auch wenn sie in Europa noch nicht hundertprozentig offen sind: Die Ohren öffnen sich. Und ich muss – im Unterschied noch zu vor ein paar Jahren – vor den Leuten im Club nicht mehr dauernd meine Musik verteidigen.