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Archiv-Artikel

Tief enttäuscht, verraten und verkauft

In der westukrainischen Stadt Lemberg sind die Menschen erbost angesichts der Tatsache, das der Ex-Premier und Wahlfälscher Wiktor Janukowitsch wieder Regierungschef werden soll. Dafür habe keiner auf dem Kiewer Maidan für die Freiheit gekämpft

AUS LEMBERG JURI DURKOT

Jewhen trägt mit einem Waschlappen Shampoo auf das Dach eines schwarzen VW Golf auf. Ein Auto muss er noch waschen, dann hat der Lemberger Feierabend. Jewhen ist gut gelaunt, heute hat er immerhin umgerechnet 20 Euro verdient. Doch auf die ukrainische Politik ist er schlecht zu sprechen. Er bekommt einen regelrechten Wutanfall. „Die Banditen greifen wieder nach der Macht. Die Wahlfälscher sitzen alle im Parlament. Und jetzt soll Wiktor Janukowitsch noch zum Premierminister gewählt werden“.

Wütend schmeißt Jewhen den Lappen auf den Fußboden. Viele Menschen in Lemberg teilen seine Ansicht, acht von zehn Westukrainern akzeptieren Janukowitsch nicht als Regierungschef. Sie sind enttäuscht, sehen aber kaum noch Möglichkeiten, die Politik zu beeinflussen. Auch für Oxana ist der aktive Protest kein Thema mehr. „Ich habe im November 2004 fast zwei Wochen auf dem Unabhängigkeitsplatz Maidan in Kiew gestanden und für unsere Freiheit gekämpft. Aber die Politiker haben sich kaum verändert. Die Ukrainer sind viel besser als ihre Politiker“, sagt die Verlegerin aus Lemberg.

Die Ukraine brauche heute eine starke Hand, um das Land nach Europa zu führen. Präsident Juschtschenko sei dafür definitiv zu schwach, meint Oxana. Ob Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko eine gute Alternative wäre? „Timoschenko hat keine gute Wirtschaftspolitik gemacht. Ihre Regierung hat den Mittelstand verprellt. Das einfache und transparente System der Pauschalbesteuerung, das für kleine und mittlere Unternehmen wichtig war, wollte sie kippen.“

Das Steuersystem konnten die Unternehmer verteidigen. Für sie hat sich die Situation sogar verbessert – die Politik ist transparenter geworden, die Schikanen seitens der Behörden sind spürbar zurückgegangen.

Vor einer Janukowitsch-Regierung haben jedoch gerade die Mittelständler große Angst. „Unter Janukowitsch hat der Staat willkürlich in die Wirtschaftsprozesse eingegriffen. Das Finanzamt verlangte immer wieder eine Vorauszahlung der Steuer, das ist ein Verstoß gegen das Gesetz. Wenn diese Politik zurückkehrt, kann man das Geschäft schließen“, sagt Marko, ein junger Unternehmer aus Lemberg, der mit dem Vertrieb von Mineralwasser seinen Lebensunterhalt verdient.

Für Jewhen hat sich die wirtschaftliche Situation dagegen verschlechtert. Seine Waschstraße gehört dem Finanzamt. Früher war sie allerdings für alle Kunden offen, seit einigen Monaten dürfen hier aber offiziell nur Dienstkarossen der Behörde gewaschen werden. „Drei Mitarbeiter wurden entlassen, nun bin ich alleine und muss 28 Dienstwagen waschen. Und das für umgerechnet 60 Euro monatlich.“

So ist Jewhen gezwungen, schwarz zu arbeiten – ausgerechnet als Angestellter des Finanzamtes. Knapp 5 Euro kostet die komplette Autowäsche, inklusive Wachsbehandlung und Staubsaugen, heute waren es 4 Kunden – zusätzlich zu den Dienstwagen des Finanzamtes.

„Warum hat Juschtschenko nichts gegen die Wahlfälscher unternommen? Er hat doch versprochen, dass Banditen in Gefängnissen sitzen werden! Und wo sind sie? Sie machen ihre Geschäfte weiter! Und die Oligarchen wollen wieder die Macht übernehmen. Dabei waren sie schon am Ende – man hätte nur härter durchgreifen sollen!“

„Das alles ist doch nur eine Posse“, sagt Tamara, die Verkäuferin im Kiosk nebenan. „Die werden schon alle eine gemeinsame Sprache finden, damit sich in der Zukunft jeder weiter bedienen kann. Um die Menschen kümmert sich doch keiner in diesem Land.“

Das Geschäft läuft zu dieser Zeit am späten Nachmittag nicht besonders gut, keine Kunden weit und breit, es ist heiß und schwül in der Stadt. In der Bude ist es bei dieser Hitze kaum auszuhalten, so geht Tamara hinaus und plaudert mit jedem, der Lust auf eine kleine Unterhaltung hat.

Sie ist Rentnerin, doch von umgerechnet 55 Euro Rente kann sie nicht leben. So jobbt sie jeden zweiten Tag als Kioskverkäuferin. Sie ist tief enttäuscht von der Politik. „Haben wir auf dem Maidan gestanden, damit Janukowitsch jetzt Premier wird? Was wird nun aus diesem Land?“, fragt sie immer wieder verzweifelt. Bei den nächsten Wahlen wird sie Timoschenko wählen und nicht mehr die Juschtschenko-Partei „Nascha Ukraina“ wie beim letzten Mal. „Die“, sagt sie, „haben alles vermasselt.“

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