„Ich befürchte eine barbarische Welt“

Der Theologe und Historiker Boulos Harb hat in Reinbek einen deutsch-libanesischen Verein gegründet, um die beiden Völker einander näher zu bringen. Doch zurzeit beschäftigt ihn vor allem die Passivität Europas angesichts des Leids im Libanon

Interview: FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Herr Barb, wann haben Sie zum letzten Mal mit Angehörigen im Libanon telefoniert?

Boulos Harb: Ich habe gestern mit meinen Verwandten, die etwas nördlich von Beirut leben, gesprochen. Sie sind sehr bedrückt: Sie sind noch nicht unmittelbar betroffen, aber sie wissen, dass das Land wirtschaftlich und politisch am Ende ist.

Gibt es jetzt eine engere Zusammenarbeit von libanesischen Vereinen, um humanitäre Hilfe zu leisten?

Die Beziehungen Libanons gehen traditionell eher nach Frankreich, Amerika, Australien und Kanada. In Deutschland leben nur um die 50.000 Libanesen, die vor allem nach der israelischen Invasion 1982 als Asylsuchende gekommen sind. Es gibt nur zwei oder drei Vereine hier im Norden, die zu klein sind, um viel auf die Beine zu stellen.

Dennoch hat sich ja auch Ihr Verein, der eigentlich einen kulturellen Schwerpunkt hat, um Spenden bemüht.

Der libanesische Staat hat durch die Botschaften um Hilfe gerufen. Aufgrund dessen haben wir einen Rundbrief an unsere Mitglieder geschickt – aber ich wäre froh, wenn da 2.000 Euro zusammenkommen würden.

In den Medien erscheint der Libanon jetzt in seinem Nebeneinander der Religionen und der Öffnung auch gegenüber westlichen Einflüssen als ein Vorreiter der Toleranz. Kommt diese Erkenntnis zu spät?

Ich glaube, dass Europa den Libanon als ein Laboratorium für das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen wahrgenommen hat. Er war ein Beispiel für die Einführung der Modernität im arabischen Raum – aber jetzt erst entdeckt die Presse, dass Israel nicht das einzige Land mit einer demokratischen Regierung im Nahen Osten ist.

Hier war die Wahrnehmung des Libanon lange vom Bürgerkrieg geprägt – der zeitweise ja auch zwischen den Religionsgruppen ausgetragen wurde.

Das ist bei Ihrer Generation sicher der Fall. Die Presse hat dazu beigetragen, indem sie immer das Tagesgeschehen dargestellt hat: die Bomben. Aber der Bürgerkrieg wurde von Milizen geführt, nicht aber von der Gesamtbevölkerung getragen.

Ihr Verein will das Verständnis zwischen Deutschen und Libanesen fördern. Ist zur Zeit die Verständigung vor Ort nicht dringlicher?

Sicher ist die Arbeit vor Ort das Wichtigste. Es gibt auch Organisationen, die das tun. Aber die Leute können die Probleme nicht vor Ort lösen, solange die Politiker nicht ihre Hausaufgaben gemacht haben.

Die worin bestehen?

Der Westen hat die Probleme, die mit der Gründung Israels entstanden, nicht gelöst; die Israelis und die arabischen Staaten haben ebenfalls zu wenig dafür getan. Darin liegt noch immer der Hauptherd für die Spannungen. Ich fürchte, dass eine barbarische Welt auf dem Vormarsch ist – nicht weil die Kulturen gegeneinander kämpften, sondern die Fundamentalisten.

Können Sie die deutsche Seite, die mit Rücksicht auf die Geschichte sehr vorsichtig in diesem Konflikt agiert, nachvollziehen?

Das verstehe ich. Aber ich erhoffe mir mehr von den anderen europäischen Staaten, von Frankreich und auch von den USA. Ich finde es unverständlich, dass man im Kosovo, als 200.000 Menschen auf der Flucht waren, mit einem Krieg reagierte. Und nun überlässt man ein Viertel der Bevölkerung eines friedlichen Landes sich selbst.

Die EU hat gerade ihre Hilfe auf zehn Millionen Euro aufgestockt.

Seitens der Staaten ist das ein Tropfen auf dem heißen Stein. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass die Bevölkerung sehr großzügig ist bei den humanitären Spenden. Das ist schön. Aber noch schöner wäre es, wenn man das Problem auf politischer Ebene anginge. Dann bräuchten wir keine humanitäre Hilfe.