„Vision oder Katastrophe – beides geht“

Stadtplaner Roland Günter findet den Duisburger Norden „rasend interessant“ – und warnt vor blindem Abriss

Herr Günter, steht es um Marxloh und Bruckhausen so schlecht, dass dort abgerissen werden muss?

Roland Günter: Nein. Ich würde vorher genau hinschauen. Die Pauschalität, mit der jetzt von Abriss geredet wird, erzeugt Misstrauen.

Warum?

Wohnungslöwen wie ThyssenKrupp haben in der Vergangenheit schon viel Unsinn gemacht. Wenn das Unternehmen den Abriss mit der Umweltqualität begründet, ist das Augenwischerei. Mit ein paar Metern Abstand zum Werk wird für die Anwohner nichts besser, dafür müsste ThyssenKrupp die Emissionen senken. ThyssenKrupp will vor allem Kosten sparen: Viele Wohnungen in Werksnähe lassen sich nicht mehr vermieten, und Leerstand ist teuer. Es wäre ein Skandal, wenn der Abriss vom Land bezahlt würde – und die Gefahr besteht. Bauminister Oliver Wittke ist als ehemaliger Angestellter und insgeheimer Lobbyist der RAG Immobilien einiges zuzutrauen.

Wie kann man die Viertel aufwerten?

Rückbau kann eine Chance sein – aber er muss mit einer Qualitätsverbesserung verbunden werden. Es müssen Milieus erzeugt werden: Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Türken und auch Studenten dieses Quartier lieben. Der Duisburger Norden ist doch rasend interessant: Zwar nicht für eine bestimmtes Kleinbürgertum, aber für viele andere Menschen.

Wie lassen sich neue Milieus anlocken?

Zum Beispiel könnte man zwei Wohnungen für den Preis von einer anbieten. Warum sollte ein junger Grafiker nicht sein Atelier in Bruckhausen einrichten? So kann man zwar die zweite Wohnung nicht mehr kommerzialisieren, aber immerhin stabilisiert sie die erste – das ist eine bessere Idee als blinder Abriss.

Es gibt nur noch wenige Siedlungen im Ruhrgebiet, die direkt vor einem Werkstor liegen. Ginge durch einen Abriss kulturelle Identität verloren?

Mit guten Fenstern kann man auch neben einem Stahlwerk wohnen. Es muss jetzt eine Vision für den Duisburger Norden her, und dafür müssen hochkarätige Experten von außen eingebunden werden. Die Geschichte kann gut werden, wenn alle Beteiligten offen sind. Wenn man sich muffig verschließt und alles den Thyssen-Krupp-Planern und der Stadt überlässt, wäre das eine Katastrophe.

INTERVIEW: KLAUS JANSEN