SUSANNE KNAUL ZUM EU-PARLAMENTSPRÄSIDENTEN IN DER KNESSET : Endlich Klartext reden
Die Empfindlichkeit, mit der nationalreligiöse Politiker auf die Rede des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz reagierten, hat vor allem innenpolitische Gründe. Naftali Bennett, Parteichef der nationalreligiösen HaBajit HaJehudi, will sich in der friedenspolitischen Debatte als Führer des rechten Lagers profilieren.
Er will „Großisrael“ retten. Eine Zweistaatenlösung kommt für ihn nicht infrage. Wer seinen Staat zu Kompromissen drängt, wird umgehend kaltgestellt. Umso besser noch, wenn die Kritik auf Deutsch formuliert wurde. Im Handumdrehen wird der Holocaust zum politischen Mittel. Die unerträgliche Polemik gegen den deutschen Sozialdemokraten, dessen Eltern „zur Generation der Täter gehörten“, wie einer seiner Kritiker vom Rednerpult der Knesset bemerkte, trifft den Falschen. Einen wie ihn sollte Israel sich warm halten. Martin Schulz gehört zu den Vorkämpfern gegen den Antisemitismus in Europa. Den Boykott israelischer Produkte aus den Siedlungen lehnt er ab.
Ein Politiker wie Schulz sollte Israel kritisieren dürfen, wo Kritik angebracht ist. Vielleicht im Rausch über die Ehrendoktorwürde, die ihm am Vortag von der Hebräischen Universität verliehen wurde, und im Rausch über die Sympathie, die ihm die israelischen Wissenschaftler entgegenbrachten, wohlwissend warum, überschätzte Schulz seinen Bonus und sprach aus, was er denkt.
Endlich hielt sich ein einflussreicher deutscher Politiker nicht an übervorsichtige Protokolle. Endlich scheute einer die offene Auseinandersetzung nicht. Es weht ein kalter Wind aus Europa Richtung Nahost. Die Israelis müssen jetzt verstehen, dass sie ein Festhalten an „Großisrael“ teuer zu stehen kommen wird. Sie sind es, die für ein Scheitern des Friedensprozesses international zur Verantwortung gezogen werden.
Schwerpunkt SEITE 4