: Olympia unter Palmen – Ist das schön?
SUBTROPEN Unten am Meer: 19 Grad, die Sonne scheint. Oben auf dem Berg: Zwölf Grad, der Schnee schmilzt. Athleten schimpfen, Rennen müssen verlegt werden. Durfte man die Winterspiele überhaupt nach Sotschi vergeben?
Ja
Nicht das Wetter ist das Problem dieser Olympischen Winterspiele. Klimatologische Umstände, frühlingshafte Temperaturen am Strand von Sotschi, Bilder von Menschen, die ins Wasser des Schwarzen Meers eintauchen, tauender, weicher Schnee in den kaukasischen Höhen von Krasnaja Poljana – all diese Umstände spielen für die Bewertung dieser Spiele keine Rolle.
Bei Winterspielen zählt nicht, dass der namensgebende Hauptort – nun eben: Sotschi – in irgendwie äquatornahen Landschaften liegt, sondern dass er auch ein nahes Gebirge zu bieten hat. Bei München wären das die Alpen, bei Oslo die Regionen um Lillehammer und bei, nur hypothetisch, bei Valparaiso, Chile, wären es die Anden. Auch Vancouver war vor vier Jahren keine Metropole des Wintersports, aber nah bei, in Whistler Mountain, befinden sich hochgelegene Gebiete, die winters schneebedeckt sind. Relevant ist nur, dass eine Stadt genügend Hotelkapazitäten anbieten kann – und ein Areal für Hallen, in denen Eishockey, Eisschnelllaufen und Curling ausgetragen werden können. Wo diese stehen, ob in bergigen Höhen oder auf Meeresspiegelhöhe, ist für das Sportliche an sich nicht interessant.
Tatsache ist, dass oberhalb von Sotschi der Kaukasus liegt, der bis Ende März so beschneit ist, dass es auch auf den TV-Bildern, die uns seit einer Woche erreichen, extrem schön aussieht: mit blauem Himmel und Bergsilhouetten, denen gegenüber alles Alpine eher fade wirkt. Gestern konnte man AthletInnen bei Wettkämpfen mit aufgekrempelten Trikots und Sportreporter vom ZDF sehen, die in ihren Polohemden sommerlich ausschauten.
Dies als Beweis zur fundamentalen Kritik an Sotschi zu nehmen, geht fehl. Das könnte nämlich auch in den Alpen der Fall sein, in den Rocky Mountains oder selbst im russischen Chanty-Mansisk, hoch oben in Sibirien. Für solche Fälle – wässrig werdender Schnee – gibt es gelegentlich ökologisch fragwürdige, salzige oder chemische Hilfe: Und sie ist im Wintersport gut erprobt. Wer Winterspiele wie Winterromantik will, muss im Märchenbuch verweilen – ist aber nicht finanzierbar.
Das Problem der Spiele von Sotschi ist also eines der Organisation: Haben die russischen Veranstalter den Kunstschnee je pünktlich parat und zudem das Vermögen, diesen dann zeitlich sinnvoll einzusetzen?
Im Hinblick auf Sotschi lief und läuft zu vieles schief. Ökologische Verschandelung von Tallandschaften, Vertreibung von Menschen aus ihren Wohngebieten, in Russland überhaupt ein Verständnis von Menschenrechten, das diese lächerlich macht.
Die Frage also lautet: Sollte das IOC die Lizenz für sein Produkt, die Winterspiele, nur noch an demokratische Länder vergeben?
JAN FEDDERSEN
Nein
Boris Nemzow hatte es bereits vor den Spielen auf den Punkt gebracht: „Man muss die Landkarte dieses riesigen Landes lange absuchen, um einen Ort zu finden, wo nie Schnee liegt“, sagte der Oppositionelle. „Putin hat genau diesen Ort gefunden“: Sotschi.
Wladimir Putin hat die Spiele nach Russland geholt, obwohl er sich mit einem Ort in den Subtropen darum beworben hat. Er hat offenbart, wie wenig nachvollziehbar die Entscheidungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sind. Wenn es dafür noch eines Beweises bedurft hatte.
Dass Russland schlicht mal an der Reihe war mit der Austragung der Winterspiele steht außer Frage. Das Problem: Das Land hatte kein Skigebiet in entsprechender Größe. Das wussten alle, auch das IOC. Es musste also ein Neues errichtet werden. Aber gerade hier?
Putin hat es gemacht. Und nun ist es zu warm. 19 Grad im Tal. Zwölf Grad in den Bergen. Die Slopestylerin Yuki Tsubota ist schwer gestürzt – weil die Hindernisse zu anspruchsvoll und der Schnee dafür zu weich waren. Ihre Geschwindigkeit reichte nicht aus, um in den Landebereich zu fliegen. Sie schlug davor auf und rammte sich ihre Knie ins Gesicht. Kieferbruch.
Auch mit der Halfpipe gab es Probleme. Die Langläuferinnen und Langläufer beschwerten sich ebenso.
Doch was viel schwerer wiegt: Es werden Ruinen hinterlassen in einer Region, „in der die Leute noch nie Wintersport gesehen haben“, wie es die russische Eisschnellläuferin Jevgenija Dmitrijeva schon vor den Spielen am Rande ihres Trainings sagte. Die Eisschnelllaufhalle wird deshalb nach den Spielen zu einer Messehalle. Wie in dieses entlegene Stück Russlands große Kongresse gelockt werden sollen? Wer weiß das schon. So sieht es auch mit den 40.000 Hotelbetten aus. Oder dem Freiluftstadion, das nur noch einmal bei der Fußball-WM 2018 wirklich gebraucht wird. Oder den vielen kleinen Arenen. Oder dem Skigebiet in Krasnaja Poljana. Mehr als eine Million Russinnen und Russen sollen dort pro Saison Skiurlaub machen, damit sich das rentiert.
Der Staat wird nicht helfen. Putin hat deutlich gemacht, dass Sotschi nach den Spielen sich selbst überlassen ist.
So werden bald die Kur-Besucher in den warmen Monaten wieder entspannt im Schwarzen Meer baden. Das geht sogar im November noch ganz gut. Und irgendwo da hinten werden sie dann ein Stadion und riesige Hotels an der Küste sehen. Und die Achterbahnbögen des Freizeitparks daneben. Und sie werden sich fragen: Wann waren diese Spiele nochmal? 2014? Waren Winterspiele, oder? Und dann werden sie lachen und den Kopf schütteln – und weiterplanschen.
JÜRN KRUSE