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Archiv-Artikel

30 Prozent Verlust durch mangelnde Infrastruktur

WASSER Israel verhindert, dass die Palästinenser in den besetzten Gebieten neue Brunnen bohren und bestehende vertiefen

Die „Extremisten“ in der Knesset hätten „nur auf einen Fehler gelauert“

AVI PRIMOR, EXBOTSCHAFTER ISRAELS

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz denkt überhaupt nicht daran, sich für seine Rede am Mittwoch vor dem israelischen Parlament zu entschuldigen. „Ich war in der Knesset verpflichtet, die Position des Europäischen Parlaments darzulegen“, rechtfertigte er im Gespräch mit Welt Online. Dabei könnten nicht nur Dinge gesagt werden, „die allen gefallen“.

Die national-religiöse Fraktion HaBajit HaJehudi (Das jüdische Haus) hatte unter Protest den Saal verlassen, als Schulz die Gazablockade verurteilte und nach der ungleichen Verteilung von Wasser für Israelis und Palästinenser fragte. Parteichef Naftali Bennett beschuldigte Schulz, die Unwahrheit gesagt zu haben – und forderte ihn auf, die Behauptungen zurückzunehmen.

Schulz hatte gefragt, ob es richtig sei, dass einem Palästinenser im Durchschnitt täglich nur 17 Liter Wasser zur Verfügung stünden, während ein Israeli 70 Liter pro Tag verbrauche. Mit dieser Frage sei er selbst in Ramallah konfrontiert worden. Gerade als Deutscher müsse er sich davor hüten, „solche Lügen zu verbreiten“, tobte Kulturministerin Limor Livnat (Likud), und auch Regierungschef Benjamin Netanjahu kritisierte die „selektive Wahrnehmung“ in Europa.

Avi Primor, Exbotschafter Israels in Berlin, verteigte Schulz dagegen im Deutschlandfunk. Der Präsident des europäischen Parlaments habe „eine sehr gute Rede“ gehalten. „Die Extremisten“ in der Knesset hätten „nur auf einen Fehler gelauert“.

Die im Grunde nur suggerierte Kritik des SPD-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl ist zwar ungenau, was die Zahlen betrifft – in der Tendenz aber richtig. Von „250 Litern Wasser pro Kopf und Tag in Israel“, berichtet Gidon Bromberg, israelischer Direktor der israelisch-palästinensisch-jordanischen Nichtregierungsorganisation Friends of the Earth Middle East (FoEME), die sich seit zwei Jahrzehnten speziell mit dem Problem Wasser befasst. Bei den Palästinensern liege der Verbrauch hingegen bei nur „70 Liter pro Kopf und Tag“, wobei rund 30 Prozent des Frischwassers aufgrund von „Diebstahl und mangelnder Infrastruktur“ verlorengingen.

Das Hauptproblem bei der Verteilung der Ressourcen ist, dass Israel bis heute die sogenannte C-Zone, rund 60 Prozent des Westjordanlands, kontrolliert (siehe Karte). Die palästinensische Wasserbehörde kritisiert auf ihrer Webseite, dass Israel in den besetzten Gebieten „umfangreiche Brunnenbohrungen für die eigene Nutzung vornimmt“ und damit gegen die Osloer Abkommen verstoße, in denen sich beide Seiten zu einer Kooperation verpflichten. Beide Seiten hätten gegenseitig die Notwendigkeit anerkannt, „die begrenzten Wasservorräte der Region zu teilen“.

Während sich Israel mit Entsalzungsanlagen selbst relativ günstig mit zusätzlichem Frischwasser versorgt, verhindern die israelischen Ministerien umgekehrt, dass die Palästinenser ihre eigene Infrastruktur modernisieren, neue Brunnen bohren und bestehende vertiefen. Deshalb seien sie gezwungen, Wasser aus den eigenen Vorkommen von Israel zu kaufen. Das Verhandlungsteam der Palästinensischen Befreiungsorganisation hält fest, dass die Palästinenser lediglich „auf 12 Millionen Kubikmeter Wasser Zugriff haben, anstelle der 70 bis 80, die ihnen laut Abkommen zustehen“.

Noch schlimmer ist die Lage im Gazastreifen, obschon dort im vergangenen Oktober eine neue Entsalzungsanlage in Betrieb genommen wurde. Die unregelmäßigen Treibstofflieferungen ließen die Anlage immer wieder zum Stillstand kommen. Die Lage verschärft sich dramatisch auch infolge eines extrem regenarmen Winters. FoEME-Chef Bromberg warnt vor einer Versalzung der Grundwasservorkommen. Schon jetzt sei der Salzgehalt bei 90 Prozent des Trinkwassers bedenklich hoch.