Kongo auf einer Reise ins Ungewisse

Eine Woche nach den historischen freien Wahlen gibt es immer noch kein Ergebnis, dafür aber jede Menge Gewaltszenarien. Die Polarisierung zwischen Präsident Kabila und Exrebellenchef Bemba verschreckt vor allem die intellektuelle Schicht

AUS KINSHASA DOMINIC JOHNSON

Eine Woche nach Kongos historischen freien Wahlen sind sich die Einwohner der Hauptstadt Kinshasa einig. Keiner weiß, wie die Wahl ausgegangen ist. Keiner versteht, warum es so lange dauert, um das herauszufinden. Jeder hat Sorge, aber niemand hat Angst. Im Vergnügungsviertel Matonge wird an diesem Wochenende Hochzeit gefeiert. Schicke Jugendliche grölen religiöse Lieder zu Modetänzen in die Nacht. „Niemand kann Kongo regieren, der Kinshasa nicht hält“, schreit ein Partygänger. „Die Macht im Land liegt hier!“

Soweit Teilergebnisse bekannt sind, hat Kinshasa massiv gegen Präsident Joseph Kabila gestimmt. Sieger hier, ebenso im gesamten Westen, ist der Volkstribun und Exrebellenchef Jean-Pierre Bemba. Kabila hat im Osten des Landes, seit zehn Jahren von Krieg geschüttelt, gigantische Mehrheiten eingefahren. Egal ob einer der beiden die Mehrheit im ersten Wahlgang holt oder es zu einer Stichwahl am 29. Oktober kommt: „Wer auch immer Präsident wird“, sagt ein Menschenrechtsaktivist, „er wird der Präsident von nur einer Hälfte des Landes sein.“

Dass Kinshasa, Kongos Tor zur Welt, den Urwaldrebellenchef Bemba wählt, der seine politische Karriere mit der Waffe gemacht hat und mit der Mobilisierung der Elendsviertel gegen den „Ausländer“ Kabila punktet, erschreckt die Intellektuellen der Hauptstadt. Die dachten, freie Wahlen würden demokratische Erneuerer an die Stelle der bisherigen Ausplünderer an der Staatsspitze setzen. „Wenn Bemba Präsident wird, wandere ich aus“, erklärt Marie-José Mavinga, Leiterin einer Organisation für kommunale Basisarbeit.

Die militanten Jugendgruppen von Kinshasas Armenvierteln, früher die Basis der demokratischen Opposition, haben hingegen Bemba als ihren Helden entdeckt. „Das Volk hat entschieden“, tönt Théophile Bitumba, Leiter eines „Jugendkomitees“ im traditionell aufsässigen Stadtteil Masina, der dort Stadtteilgruppen organisiert. „Sollte Kabila zum Sieger erklärt werden, wird das Land unregierbar.“

Er spricht von „traditioneller Gewalt“ und verweist auf die lokalen Mayi-Mayi-Milizen Ostkongos, die im Krieg Jugendliche mit angeblich unverwundbar machendem Heilwasser in den Kampf schickten und brutale Verbrechen begingen. „Die Mayi-Mayi sind hier, wir reden mit ihnen“, sagt Bitumba.

Hat man solche Drohungen nicht schon vor einem Jahr gehört, als Kongos Opposition Massenproteste ab dem 30. Juni 2005 ankündigte, weil die Allparteienregierung aus Kongos Warlords länger als vereinbart im Amt blieb? „Damals waren die Mächtigen alle vereint“, stellt Bitumbas Kollege Ahidor Mbuyi klar. „Sie schüchterten das Volk mit Gewalt ein. Heute ist es anders. Die Mächtigen sind zerstritten. Siegen kann nur der, der die Bevölkerung auf seiner Seite hat.“

Das Klima verändert sich. Unter den Zehntausenden, die Bemba auf seiner Abschlusstour durch Kinshasa vor den Wahlen zujubelten, waren manche nackt – ein Tabubruch, den man sonst höchstens als Ausdruck des Verfluchens kennt, zum Beispiel wenn Frauen gegen Vergewaltiger protestieren. „Das haben wir hier so noch nie gesehen“, bestätigt Floribert Chebeya, Leiter der Menschenrechtsorganisation Stimme der Stimmlosen (VSV). „Es ist ein Ausdruck der Verzweiflung. Die Leute wollen damit zeigen, dass sie sich der Staatsmacht gegenüber völlig schutzlos fühlen. Sie signalisieren Bemba: Gib uns Waffen, damit wir uns verteidigen können.“

Eine Zeitung in Kinshasa vergleicht die Konfrontation Kabila/Bemba mit der zwischen Präsident Jacques Chirac und Rechtsextremistenführer Jean-Marie Le Pen in Frankreich 2002. So ein Vergleich soll Kabila eine Koalition der Angst in die Arme treiben. Aber Kongo ist nicht Frankreich. Die verelendete Unterschicht spürt keine Loyalität gegenüber dem Establishment. In der politischen Klasse könnte der aufgeschlossene, wendige Bemba mehr Verbündete gewinnen als der verschlossene, linkische Kabila. Dessen Rücktritt schließen manche nicht mehr aus. Dann würde Kongo vollends den Weg gehen, den die Hochzeitsgäste in Matonge gegenüber den Frischvermählten in den Himmel brüllen: „Destination inconnue“ – „mit unbekanntem Ziel“.