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Archiv-Artikel

Der Rekord-Pianist

NEO-KLASSIK Lubomyr Melnyk entlockt dem Klavier Eigenwilliges – und das manchmal atemberaubend schnell

Von MATT

Es ist so etwas wie ein Kurzschluss zwischen zwei Musikergenerationen: „Wo wart ihr, als ich 30 war?“, soll Lubomyr Melnyk auf den Vorschlag Robert Raths erwidert haben, ein Album für dessen Londoner Label Erased Tapes einzuspielen. Rein rechnerisch ist die Antwort ganz schlicht: Als der in Kanada lebende ukrainische Pianist und Komponist 30 war, war Rath noch nicht auf der Welt.

Man trifft sich also mit Verspätung: Seit 2007 finden bei Erased Tapes KünstlerInnen wie die PianistInnen Nils Frahm und Poppy Ackroyd oder die Multiinstrumentalisten Peter Broderick und Òlafur Arnalds einen Raum für ihre musikalischen Erkundungen an den Schnittmengen zwischen Traditionellem und Zeitgenössischem, Digitalem und Analogem, Komposition und Bandkontext.

Allen gemeinsam: eine unkonventionell-intime Herangehensweise ans jeweilige Instrument. Da werden Saiten direkt gestreichelt, mit Papier gedämpft, Mikrofone im Resonanzkörper verteilt, Klang und Einklang von Instrument und Raum erforscht. Gut passt in diesen Kosmos die eigenwillige Spielweise, die Melnyk in den 1970ern während seiner Zusammenarbeit mit der Choreografin und Tänzerin Carolyn Carlson als „Kontinuierliche Musik“ entwickelt hat: Mit durchgetretenem Pedal spielt er einen konstanten Fluss rasend schneller Arpeggios, erzeugt ambientartige Texturen voller Obertöne.

Auf zwei musikalische Weltrekorde ist er dabei stolz: 19 Töne spielt Melnyk pro Sekunde, pro Hand, verbrieft. Nicht ganz so schnell war er beim zweiten Weltrekord: Mit durchschnittlichen 13 Tönen pro Sekunde und Hand drückte er in einer Stunde 94.650-mal die Tasten.

Gemeinsam mit Nils Frahm und Produzent Peter Broderick hat Melnyk jetzt das Album „Corollaries“ eingespielt. Kein weiterer Rekordversuch, zum Glück – stattdessen hat Broderick das Spiel des Pianisten mit allerlei Kleinteiligem umgeben und ganz behutsam ins Neo-Klassik-Umfeld überführt.  MATT

■ Mi, 19. 2., 20 Uhr, Golem