: Muss der Staat uns alles verraten?
TRANSPARENZ Jeder Bürger hat Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. So steht es im Gesetz. Doch die Realität sieht anders aus
JA
Peter Schaar, 55, ist Bundesbeauftragter für Datenschutz und InformationsfreiheitTransparenz ist für eine demokratische Gesellschaft von großer Bedeutung. Sie führt zu größerer Akzeptanz politischer Entscheidungen, ermöglicht eine aktive Mitgestaltung und stärkt das Vertrauen in die Verwaltung. Daher hat seit einigen Jahren jeder auf Bundesebene und in den meisten Ländern das Recht auf Zugang zu behördlichen Unterlagen. Natürlich hat diese Offenheit auch Grenzen. So darf das Informationszugangsrecht den Schutz persönlicher Daten nicht unterlaufen. Das Gesetz enthält jedoch zahlreiche weitere Ausnahmen, die dringend auf den Prüfstand gehören. Nicht zuletzt könnte der freie Informationszugang dann auch einen Beitrag zur Korruptionsbekämpfung leisten.
Petra Pau, 47, ist im Vorstand der Linksfraktion und Vizepräsidentin des Bundestags
Wenn der Satz stimmt, „alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, und auch, dass Bürgerinnen und Bürger die eigentlichen Souveräne sind, dann gilt logisch: Sie sollten über den Staat möglichst alles wissen, der Staat über sie dagegen möglichst wenig. So weit zumindest die Theorie! Im Jahr 2005 beschloss der Bundestag das sogenannte Informationsfreiheitsgesetz. Was so viel bedeutet wie: Der Staat muss seine Informationen befreien, er darf sie nicht länger vor dem Souverän geheim halten. Das war ein sehr später Akt für ein wichtiges Gesetz, und für so ein halbherziges obendrein. Das ist die Praxis! Übrigens prozessiere ich weiter gegen die Regierung. „Der Staat“ will mir einfach nicht sagen, was in den Akten steht, die seine Geheimdienste über mich führen. Ich weiß inzwischen, dass es sich um etliche Bände handelt. Ein Eintrag lautet: „Petra Pau wurde zur Vizepräsidentin des Bundestags gewählt.“ Toll!
Simon Rogers, 42, ist Redakteur beim „Guardian“ und bloggt über Open DataSollten Regierungen Geheimnisse erlaubt werden? Ich sage nein. Ich will wissen, was meine Regierung tut, ich möchte informiert sein, wenn Zivilisten von Nato-Truppen getötet wurden, und ich möchte Bescheid wissen, welchen Gefahren die britischen Soldaten dort täglich ausgesetzt sind. Aber ich akzeptiere auch, dass ich zum Beispiel kein Recht habe, den Namen eines Informanten zu kennen, insbesondere wenn es sein Leben gefährdet. Es ist nicht lange her, dass die britische Regierung zugestimmt hat, der Welt ihre geheimsten Datenbänke zugänglich zu machen, darunter die Coins-Datenbank des Schatzamtes. Und was passierte, als sie das tat? Der Himmel ist uns nicht auf den Kopf gefallen. Die Welt ist nicht zusammengebrochen. Wir haben alle nur die kühle Brise von etwas mehr Transparenz in unserem Leben gefühlt.
Karoline Linnert, 51, ist Grünen-Politikerin und Bürgermeisterin der Hansestadt BremenInnerhalb der Grenzen des Datenschutzes haben die Bürgerinnen und Bürger ein Recht zu erfahren, was Regierung und Verwaltung in ihrem Auftrag unternehmen und wofür die Steuergelder verwendet werden. Staatliches Handeln muss transparent organisiert werden, denn der freie Informationszugang ist Voraussetzung demokratischer Willensbildung. Bremen ist da bundesweiter Vorreiter: Das virtuelle Bremer Informationsregister ist für bürgernahe Informationspolitik ausgezeichnet worden. Der Bremer Senat veröffentlicht darin regelmäßig unter anderem Beteiligungsberichte mit den wichtigsten Unternehmensdaten der staatlichen Firmen und Benchmarkingberichte. Letztere zeigen detailliert, wie viel Bremen im Vergleich zu anderen Städten und Ländern für einzelne staatliche Leistungen ausgibt.
NEIN
Siegfried Kauder, 59, ist CDU-Politiker und leitet den Rechtsausschuss des Bundestags
Würde der Staat uns alles verraten, wäre das eine Katastrophe. Natürlich hat die Bevölkerung ein Recht zu wissen, was im Bundestag debattiert und beschlossen wird. Und auch, wie er seine Aufgaben wahrnimmt. Aber alles hat seine Grenzen. Geht es um Fragen der inneren und äußeren Sicherheit und insbesondere um militärische Einsätze und die vorbeugende Arbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung, sind Diskretion und Geheimhaltung oberstes Gebot. Sonst würden SoldatInnen und PolizistInnen gefährdet werden. Das darf der Staat nicht zulassen. Auch wenn es um die Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden geht, sind Vorgaben einzuhalten. Das Fazit lautet also: Der Staat muss informieren, er darf aber nichts und niemanden verraten.
Dietmar Birkeneder, 45, ist Oberstleutnant und Sprecher der Bundeswehr
Darf der Staat uns alles verraten? Alles jedenfalls, was die Bürgerinnen und Bürger brauchen, um sich ein umfassendes Bild von der Sicherheits- und Verteidigungspolitik machen zu können. Denn dazu verpflichten uns die Verfassung, Gesetze, interne Erlasse, zusätzlich auch unsere Konzeption und unser Selbstverständnis in der Bundeswehr. Wobei wir davon ausgehen, dass Offenheit und Transparenz zu mehr Verständnis der sicherheitpolitischen Entscheidungen und letztlich zu größerer Zustimmung führen. Alles außerdem, was die Öffentlichkeit interessiert und ihr nicht schadet. „Aha“, denkt der Kritiker jetzt, „und das, was schadet, bestimmt die Bundeswehr natürlich nach ihrem Interesse und Belieben“. Falsch! Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz, zum Teil im harten, lebensgefährlichen Einsatz. Informationen, die die Schutz- und Persönlichkeitsrechte unserer Soldaten direkt berühren, die sie im Einsatz gefährden, müssen und dürfen nicht an die Öffentlichkeit gegeben werden – selbst dann nicht, wenn sie das öffentliche Verständnis fördern würden und hochinteressant sind.
Heike Popp, 46, ist Kassiererin und hat ihren Kommentar auf taz.de gestelltBei der Frage, ob man Politikerinnen ins Handtäschchen schauen darf oder Staatsangestellten in die Hosentaschen, sollte man nicht vergessen, dass es sich hier um Menschen handelt. Kontrolle ist notwendig, keine Frage! Ihnen unterlaufen Fehler oder sie schätzen Dinge falsch ein. Manchmal erledigen sie ihren Job auch nicht so, wie der Wähler es von ihnen erhofft hatte. Jedoch zu erwarten, dass wir es mit Staatsdienern rund um die Uhr zu tun haben, ist großer Käse. Auch sie benötigen Privatsphäre. Alles, was in Zusammenhang mit ihrem Job steht, gehört offengelegt. Der Rest ist Privatsache! Auch wenn uns das nicht gefällt. Der Gedanke, dass jemand zu hundert Prozent mit Haut und Haar in der Politik unterwegs ist, ist unrealistisch. Es zu fordern wäre unmenschlich.
Uwe Schünemann, 64, ist CDU-Politiker und Innenminister NiedersachsensDas Bundesland Niedersachsen hat sich gegen die Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes entschieden. Denn die angestrebte Transparenz ist bereits nach geltendem Recht gewährleistet. Die Einführung eines solchen Gesetzes würde sowohl in der Landesverwaltung als auch bei den Kommunen mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand und entsprechenden Kosten einhergehen. Bei der Forderung nach Einsichtnahme sind außerdem immer die Rechte Dritter, wie Datenschutz, Urheberrechte und Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, zu beachten. Daher kann ein allgemeines Informationsrecht nicht schrankenlos gewährt werden.