: Katastrophisch
Furcht schweißt zusammen: Die Weimarer ACC-Galerie und die Stiftung Federkiel zeigen in der Baumwollspinnerei Leipzig „Kultur der Angst“
VON SUSANNE ALTMANN
Während in London der U-Bahnanschläge vom letzten Sommer gedacht wurde und in Bombay Sprengsätze explodierten, eröffnete im beschaulichen Leipzig eine Ausstellung zur allgegenwärtigen „Kultur der Angst“. Das Thema gesellschaftlicher Verängstigung liegt zu Beginn des 21. Jahrhunderts offen zu Tage. Und nachdem es vom Kommerz gewinnträchtig, von der Psychologie mittlerweile offensiv und von der Politik gern instrumental behandelt wird, hat es nun auch die bildenden Künste erreicht. Das hat nicht allein mit der Angst vor dem Terror zu tun, sondern auch mit einer kollektiven Mentalität der Furcht. Zwar deuten engagierte KünstlerInnen nicht erst seit dem 11. September 2001 oder seit Michael Moores „Bowling for Columbine“ diese Zeichen der Zeit, doch ist es das Verdienst dieser Ausstellung, in der Szenerie der Beklemmung einen Rundumschlag zu wagen.
Dass die Bilder dabei schon mal plakativ ausfallen, liegt in der Natur der Sache. So trifft man beim Betreten der 4.000 Quadratmeter großen Halle 14 auf dem Gelände der Plagwitzer Baumwollspinnerei zunächst einmal auf die Panzersperre des Niederländers Lucas Lenglet. Derart filigran freilich und instabil, wie das Metallgerüst über dem Boden balanciert, führt es sich selbst ad absurdum.
Nicht ohne finsteren Humor beschäftigt sich Austin Shull aus New York mit der Kommerzialisierung der Angst und den entsprechenden Produkten, deren oft nur vermeintliche Alltagstauglichkeit er mit seinen „Pandemic Survival Kits“ gehörig aufs Korn nimmt. Sie antworten auf die Vogelgrippe-Paranoia mit einem praktischen Schutzpäckchen, das außer der ent- und ansprechenden Katastrophenschutzästhetik wenig praktischen Nutzen aufweist. Ähnliche Sets in Multiple-Ästhetik mit variablem Pseudo-Serviceangebot kursieren freilich schon seit den 1990er-Jahren im Kunstbetrieb und so wirkt das „Pandemic Survival Kit“ wenig originell.
Im gleichen Geiste, wenn auch weit reflektierter und unterhaltsamer, gibt sich der Beitrag der „Yes Men“. Die Netzkunst- und Aktivistengruppe ist für ihre Kommunikationsguerillataktiken weithin berühmt und berüchtigt – etwa die Bloßstellung des Konzerns Dow Chemical anlässlich des 20. Jahrestags des Bhopalunglücks am 3. Dezember 2004. In Leipzig lässt sich nun ihr „Halliburton SurvivaBall“ bestaunen. Den kugelförmigen Überlebensanzug, in dem sich sowohl Vital- wie auch Administrationsfunktionen mühelos aufrecht erhalten lassen, hatten sie im Mai dieses Jahres auf der „Catastrophic Loss“-Konferenz in Florida erstmals vorgestellt – als vermeintliche Repräsentanten des Rüstungskonzerns Halliburton, dessen früherer Chef Vizepräsident Dick Cheney war. Der SurvivaBall besteht nach eigenem Bekunden der Aktivistengruppe aus „Very High Tech Materials“ und zielt auf persönliche Sorgen im Schlepptau der globalen Erwärmung. Wie schütze ich mich vor Hitze, Orkanen und Hochwasser – ganz besonders, wenn mir meine verantwortungsvolle Geschäftsposition wenig Zeit für diesbezügliche Kreativität lässt? Diese quälende Frage löst der SurvivaBall, der dafür ausgelegt ist, den „corporate manager“ zu beschützen, „no matter what Mother Nature throws in his of her way“.
Die praxisorientierte Flucht nach vorn tritt auch Oscar Tuazon an, ein Landsmann der „Yes Men“, der im noch immer unwegsamen Gelände des Baumwollspinnerei-Außenraums einen unterirdischen Bunker anlegte. Auf dem Leipziger Kunststandort glücklicherweise keine existenzielle Notwendigkeit, bleibt er Geheimtipp für harmlose After-Party-Gelage und wirkt – obzwar mit kruden Möbelskulpturen eingerichtet – eher kuschelig. Diese Gratwanderung zwischen Unterhaltungswert und Bedrohungsszenario flankiert Christoph Draegers grimmige GUERRA-Flagge, die das bekannte regenbogenfarbene PACE-Geflatter in Tarnoptik persifliert. Weitaus beklemmender fällt seine Videoarbeit „Helene’s Freedom“ aus. Dort wird ein alter Katastrophenschutzfilm aus dem sozialistischen Ungarn mit einer Brandrede von George W. Bush untertitelt und lässt den Kalten Krieg als harmloses Präludium zum „War on Terror“ erscheinen.
Neben diesen weltpolitischen Referenzen, die die Ausstellung stark grundieren, ergänzen die Symptome ganz persönlicher Phobien die aktuelle „Kulturlandschaft Angst“ besonders wirksam. Der Leipziger Künstler Peter Bux wartet etwa – wohl auch als eigene therapeutische Strategie gemeint – mit einem Wandgemälde in vertrauter Piktogramm-Ästhetik auf: „Nutzbare Bodenflächen bei Panik“ bietet dem Besucher praktische Fluchtwege aus dem potenziell bedrohten Ausstellungsraum an. Auf individuelle Zukunftsängste und die diesbezügliche Konjunktur von Wahrsagereien verweist Peter Wächtler. Er lud Frau Schmidt ein, eine Leipziger Astrologin, und baute ihr vor Ort einen psychedelisch-esoterischen Arbeitsplatz in Pink, an dem sie ihre Hellseherei betreibt.
Dem subjektiven Bedürfnis nach Vorkehrung und Abschreckung widmet sich gleichermaßen Philipp Lachenmann mit seinem Schilderwald: Aus den streng bewachten Vorgärten kalifornischer Luxusvillen entwendete er die Warnschilder von Wachgesellschaften, die neben ihrer abschreckenden Funktion mittlerweile die Rolle von Statussymbolen übernommen haben. Seine Installation „Bel Air Bouquet“ lockert den Parcours durchs schwermütige weltweite Gruselkabinett deutlich auf, auch wenn sie nicht gerade durch Tiefenschärfe besticht. Letzteres Manko weist aber sehr viel mehr noch das brachiale Bildprogramm der Moskauer Künstlergruppe AES+F auf. Offenbar von Lolitafantasien und vom St. Petersburger Neoakademismus inspiriert, hantieren dort zarte Model-Kindchen an schwerem Militärgerät, verschießen eindimensionale Metaphern und verstellen damit den Assoziationen zu real existierenden Kindermilizen niedlich den Weg.
Unweit der leicht bekleideten Teenager von AES+F läuft das textile Kontrastprogramm. Mit ihrem Selbstversuch als nach islamischem Brauch streng verhüllte „Aisha“ illustriert Mandy Gehrt kulturelle Berührungsängste und bekommt dafür innerhalb der Ausstellung fast eine Soloshow. Ein wichtiges Thema gewiss, hier allerdings in einer allzu ausufernden Präsentation: Weniger wäre mehr. Dennoch, bei manchen Ungereimtheiten im Detail, setzt sich „Kultur der Angst“ erholsam von den gewohnt spröden Ausstellungskonzepten darstellender Soziologie ab. Um die Qualität des Programms von Halle 14 hat Kurator Frank Motz denn auch keine Angst, höchstens um dessen Finanzierung. Doch so weit lässt er mögliche Phobien nicht an sich heran …
bis 1. Oktober 2006, www.federkiel.org