: Schmerzensschreie aus der Apotheke
Das Saarland will den Markt für einen niederländischen Apothekenkonzern öffnen. Bisher erlaubt das deutsche Recht nur vor Ort zugelassene Einzelapotheker, doch die EU lässt längst Ketten zu. Die deutschen Apotheker gehen trotzdem vor Gericht
VON ANNA LEHMANN
Die Apotheker sehen die Tante-Emma-Apotheke von der Schließung bedroht und den deutschen Rechtsstaat in Gefahr. Der klassischen Apotheke, schimpft die Apothekerlobby, könnte die Entscheidung des saarländischen Sozialministers Josef Hecken (CDU) zum Verhängnis werden. Der erteilte dem niederländischen Apothekenkonzern Doc Morris Ende Juni die Erlaubnis, in Saarbrücken eine Filiale zu eröffnen. Heute stellt Hecken ein Gutachten vor, das ihm bescheinigt, im Recht zu sein
Das Gutachten des Europarechtlers Rudolph Streinz geht davon aus, dass das deutsche Apothekenrecht – pro Apotheker maximal drei Apotheken – veraltet ist, da die Europäische Union andere Standards setzt. Nach EU-Richtlinien dürfen sich Unternehmer in allen Mitgliedsländern niederlassen und Filialen gründen – auch Großapotheker. In Italien, Spanien und Österreich hob die EU-Kommission im Juni entsprechende Beschränkungen auf.
Das beschauliche Nebeneinander von deutschlandweit 22.000 Einzelapotheken scheint vorbei zu sein: „Wir gehen als Behörde davon aus, dass wir verpflichtet sind, uns über nichtiges nationales Recht hinwegzusetzen und europäisches Recht anzuwenden“, sagte ein Sprecher des saarländischen Sozialministeriums. Im Klartext: kein deutscher Sonderweg für Apotheker. Die hiesigen Apotheken waren bisher durch das so genannte Fremdbesitzverbot, das es nur natürlichen Personen erlaubt, eine Apotheke zu besitzen, vor der Konkurrenz kapitalkräftiger Konzerne geschützt.
Die Kammern und Verbände befürchten Umsatzeinbrüche und haben ihre Juristen ins Gefecht geschickt. „Die Rechtssicherheit muss wieder hergestellt werden“, forderte Heinz-Günter Wolf, Präsident der Abda, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, gestern. Die Abda hat einen Eilantrag beim saarländischen Verwaltungsgericht eingereicht und fordert, dass Doc Morris sich zurückzieht. Auch die regionale Kammer hat gegen die Erteilung der Betriebserlaubnis geklagt. Das Urteil fällt heute.
Das Bundesgesundheitsministerium in Berlin beobachtet den Rechtsstreit im Saarland sehr distanziert: „Das ist Landesrecht“, sagte eine Sprecherin von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Aber man sei bestimmt nicht gegen eine weitere Liberalisierung, solange Qualität und Sicherheit gewährleistet seien. Dies scheint der Fall zu sein. Als die Bundesregierung 2003 den Verkauf von Medikamenten übers Internet erlaubte, hatten die angestammten Apotheker ebenfalls vor Billigpillen mit hohen Nebenwirkungen gewarnt. „Aber die Befürchtungen haben sich nicht bestätigt.“
Die Krankenkassen machen längst Geschäfte mit Discountapotheken. So ordert der Bundesverband der Betriebskrankenkassen fünf Prozent der verschreibungspflichtigen Medikamente bei der Europa Apotheke Venlo. „Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir können sparen und die Patienten müssen weniger zuzahlen“, lobt der BKK Bundesverband. Sitz der Europa Apotheke: die Niederlande.