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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Die Gambe ist ganz dicht an deiner Seele dran“

Dass es ein eigentlich ausgestorbenes Instrument ist, stört sie nicht: Gambistin Simone Eckert spielt auch Avantgarde-MusikDRUCK ODER GELASSENHEIT Die Hamburgerin Simone Eckert wusste schon als Kind, dass sie Gambistin werden wollte. Dabei ist die Gambe eines der widerspenstigsten Instrumente überhaupt: Auf kraftvolles Spiel reagiert sie höchst allergisch

Simone Eckert, 44

■ hat in Hamburg und Basel Gambe studiert und 1990 mit dem Diplom für Alte Musik abgeschlossen.

■ 1991 gründete sie das auf Alte Musik spezialisierte Ensemble Hamburger Ratsmusik und griff damit eine bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Tradition wieder auf.

■ Seit 1992 ist sie Dozentin am Hamburger Konservatorium und leitet in Deutschland und Großbritannien Seminare für Gambe.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Eckert, warum haben Sie ein so absurdes Instrument wie die Gambe gewählt?

Simone Eckert: Sagen Sie nicht absurd! Ich würde eher sagen, es ist ein besonderes Instrument. Und was mich betrifft: Ich wollte schon als Kind ein Streichinstrument spielen. Als ich auf die Gambe verfiel, mussten meine Eltern das erst mal im Lexikon nachschlagen. Sie haben es toleriert, wollten mich allerdings später überreden, zum Cello zu wechseln, damit ich auch ein „solides“ Standbein hätte. Da hatte ich aber schon entdeckt, dass die Gambe ein spezielles Repertoire hat, das auf dem Cello gar nicht spielbar ist.

Stimmt es, dass Sie schon als Achtjährige Gambistin werden wollten?

Ja. Unsere Grundschullehrerin fragte damals nach unseren Berufswünschen. Als ich „Gambistin“ sagte, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und sagte, such dir was Anständiges. Das hat mich provoziert, und ich dachte: Jetzt erst recht!

Woher weiß eine Achtjährige so genau, was sie werden will?

Schwer zu sagen. Vielleicht ist so ein Weg vorherbestimmt.

Gab es einen musikalischen Auslöser?

Es gab schon Stücke und Spielsituationen, die bei mir „eingerastet“ sind. Einmal habe ich meine Lehrerin zum Beispiel Antoine Forquerays Suite in G-Dur spielen hören. Es ist ein typisches Gambenstück – allerdings ein sehr eigenwilliges mit einer ganz verqueren Technik. Als ich das hörte, habe ich einen ungeheuren Energieschub und ein großes Glücksgefühl erlebt.

War es leicht, einen Gambenlehrer für eine Achtjährige zu finden?

Nein. Meine erste Lehrerin war Cellistin, die auch Gambe lernte. Sie war kein Profi, aber für den Einstieg war das in Ordnung. Später habe ich wirklich gute Lehrer gefunden, die mich bei der Stange gehalten haben.

Hatten Sie je Zweifel?

Ja, allerdings keine dramatischen. Aber in gewissen Phasen hat man als Jugendlicher einfach andere Dinge im Kopf. Und meine Eltern haben keinen Druck ausgeübt. Sie waren keine Musiker und wussten nicht, wie man ein Kind zum Virtuosen macht. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich hatte viele Freiheiten. Andererseits hatte ich dadurch zu Studienbeginn nicht die gleichen Voraussetzungen wie ein gedrilltes Kind. Vieles habe ich mir deshalb im Nachhinein autodidaktisch erarbeitet.

Sie haben Ihr Studium 1983 in Hamburg begonnen. War das eine reine Frauenriege?

Warum fragen Sie?

Ist die Gambe kein typisches Fraueninstrument?

Ich wehre mich gegen dieses Klischee. Unter den renommierten Gambisten finden sich 50 Prozent Männer.

Was macht die Gambe im Vergleich zum Cello einzigartig?

Einerseits die Möglichkeit des akkordischen Spiels: Da die Gambe – anders als das viersaitige Cello – sechs oder sieben Saiten hat, kann man mehrere Töne gleichzeitig streichen, also mehrstimmig spielen. Außerdem sind die Saiten weniger straff gespannt als beim Cello. Man kann also nicht so laut spielen. Lautstärke ist auch nicht das Ziel, sondern eher ein runder Klang.

Ist die Gambe ein eher intimes Instrument?

Sie produziert jedenfalls einen privaten Klang. Denn die Gambe war ja im 16. und 17. Jahrhundert ein eher aristokratisches Instrument, das man im kleinen Kreis spielte. Damals waren die Konzertsäle auch noch nicht so gigantisch wie im 19. Jahrhundert. Vor denen hat die Gambe kapitulieren müssen; im 19. Jahrhundert wurde auch fast nichts für Gambe komponiert. Denn dieses Instrument kann technisch nicht verstärkt werden. Die Gambe funktioniert nur drucklos; man kann sie nur aus einer Grundentspannung heraus spielen. Das betrifft sowohl die Spieltechnik als auch die seelische Haltung. Wer die Gambe mit Überdruck spielt, scheitert: Es gibt Nebengeräusche, und man trifft keine einzelnen Saiten mehr.

Gibt es Tage, an denen Sie nicht spielen können?

Früher schon. Inzwischen wird mir immer bewusster, welche Grundhaltung ich brauche, um an das Instrument und seine Musik heranzukommen. Und dass das mit Unruhe und Hektik nicht funktioniert. Andere Instrumente sind da nicht so empfindlich: Am Klavier können Sie immer Töne erzeugen. Auch moderne Streichinstrumente verzeihen viel mehr als eine Gambe. Die ist ganz dicht an deiner Seele dran.

Mit Kraft kommt man der Gambe nicht nahe?

Leider überhaupt nicht. Denn hinter Kraft kann man Unsicherheit oder Lampenfieber verstecken. Das funktioniert bei der Gambe nicht.

Haben Schüler damit Probleme?

Alle haben damit Probleme. Es ist die Hauptschwierigkeit dieses Instruments.

Sie haben 1991 das Ensemble „Hamburger Ratsmusik“ gegründet. Waren Sie des solistischen Spiels müde?

Nein. Ich brenne für beides. Ein Ensemble eröffnet allerdings neue Horizonte: Wenn vier Gamben zusammen spielen, ergibt das einen Zusammenklang wie bei keinem anderen Instrument. Dieses Erlebnis, mit vier Gamben in polyphoner Musik wirklich zu verschmelzen – das ist schon einzigartig. Aber mein Herz schlägt auch für die solistische Musik, denn da gibt es – vom 16. Jahrhundert bis heute – einfach jede Menge grandioser Literatur.

Sie spielen auch Neue Musik. Ist ein Renaissance-Instrument damit nicht überfordert?

Die Gambe

Entstanden ist die Gambe wohl im Spanien des 15. Jahrhunderts.

■ Hauptinstrument der Kammermusik von Akademien, Aristokratie und Großbürgertum in Italien, Frankreich, England und Deutschland war die Gambe bis ins 18. Jahrhundert hinein.

■ Verdrängt wurde die Gambe ab Mitte des 18. Jahrhunderts, als Violoncello und Kontrabass aufkamen.

■ Eine Renaissance erlebte die Gambe durch die historische Aufführungspraxis in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Nein. Ich fand es immer faszinierend zu sehen, dass sich auch zeitgenössische Komponisten für die Gambe begeistern. Hier in Hamburg sind das vor allem ehemalige Schüler György Ligetis. Etliche von ihnen sind inzwischen selbst arrivierte Komponisten, und was sie von ihrem Meister übernommen haben, ist eine Offenheit für die speziellen Möglichkeiten der Gambe. Sie ist zum Beispiel nicht festgelegt auf bestimmte Tonhöhen und kann im Vierteltonsystem spielen. Die Tatsache, dass sie von unserem 12-Ton-System weg in andere Tonalitäten gehen können, hat diese Komponisten begeistert. Trotzdem liegt der Schwerpunkt unseres Repertoires auf Renaissance- und Barockmusik.

Hat die „Ratsmusik“ vom Boom historischer Aufführungspraxis profitiert?

Leider nicht, denn dessen Zenit war ja in den 70er, 80er Jahren, betraf also die Generation unserer Lehrer. Sie waren es auch, die uns erzählt haben: Wer diese Instrumente lernt, bringt es zu etwas. Inzwischen sind aber selbst die Nachwehen dieses Booms vorbei. Das hat allerdings auch Vorteile: Die Szene schrumpft sich gerade gesund.

Sie unterrichten auch Gambe. Wer will das heute noch lernen?

Es gibt durchaus noch interessierte Laien, die zum Teil von anderen Instrumenten kommen. Aber ich beobachte auch Veränderungen. Als ich vor 20 Jahren zu unterrichten begann, existierten viele Laiengambisten, die mit der Musikpädagogik der Nachkriegszeit groß geworden waren: mit Wulf-Fiedeln und der Idee des Ensemblespiels mit angeblich einfachen Instrumenten. Aus ihnen sind etliche hervorragende Ensemblespieler hervorgegangen. Diese Tradition bröckelt jetzt: die Spieler altern, und Jüngere kommen nicht nach.

Wer bleibt?

Einzelkämpfer, die mit diesen Schwierigkeiten leben. Ich habe derzeit einen 13-jährigen Schüler, dem ich eine Gambisten-Karriere durchaus zutraue. Den nötigen Biss und die Starrköpfigkeit hat er jedenfalls.

Was macht eine Gambisten-Karriere so schwierig?

Da die Standard-Orchesterbesetzung keine Gambe vorsieht, wird man nie eine Festanstellung haben. Wer sich für die Gambe entscheidet, weiß also von vornherein, dass er immer Freiberufler sein wird. Und das auf einem Markt, der immer enger und immer härter umkämpft wird. Das muss man aushalten können.

Halten Sie es gut aus?

Es gibt solche und solche Tage.