: Findling in der Versuchsanstalt
MUSIKTHEATER Die Gruppe Oper Dynamo West inszeniert in der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffsbau eine Erzählung nach Heinrich von Kleist
Wut, Trauer, Rache, Fürsorge, Eifer- und Sehnsucht sind lebendigen Wesen vorbehalten, könnte man meinen. Doch wenn ein einzelner riesiger Bau ein Eigenleben entwickelt, die Seinigen beschützt und umsorgt, tobt, zürnt und auf Rache aus ist, dann ist vermutlich die Künstlertruppe „Oper Dynamo West“ am Werk. Denn ihr Konzept ist, besonderer Architektur eine Performance auf den Leib zu schneidern.
Das Gebäude ist dieses Mal die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffsbau (VWS), bekannt als die „Rosa Röhre“ am Schleusentor in Berlin-Tiergarten. Ihre zahlreichen Röhren, Wasserrinnen und Apparaturen wurden 1903 errichtet, noch heute nutzt die TU den Bau für Forschungszwecke. In dem Musiktheaterstück „VWS – Der Findling“ übernimmt der Bau die Rolle des alten Kaufmanns Piachi aus Kleists dramatischer Erzählung „Der Findling“: Er besänftigt mit seinen Wasserläufen das Feuertrauma seiner zweiten, wesentlich jüngeren Frau Elvire.
So zumindest haben es sich Janina Janke, Regisseurin des Stücks, und der Rest der elfköpfigen Künstlergruppe Oper Dynamo West ausgedacht. Elvire ist nämlich mit 13 Jahren von ihrem toten Geliebten Colino aus dem brennenden Haus ihres Vaters gerettet worden und überlebte, während Colino drei Jahre später an den Folgen des Brands starb. Eine zweite Frauenfigur, Constanza, träumt sich in ein Eheglück mit ihrem erwarteten Baby hinein, während sie im langgestreckten Wasserbecken auf einer Luftmatratze dahintreibt.
Die Darsteller werden begleitet von Quietschen und Knarren, das mal vom Cellospiel, mal von Soundinstallationen stammt, und von Lichteffekten, die die düstere Atmosphäre der Erzählung untermalen. Mal werden die Zuschauer von einem zum anderen Ende des langen Innenraums mit dem Wasserbecken allein durch die Beleuchtung und die Geräuschkulisse geführt, mal gibt es eine Ansage, sie mögen den Fahrstuhl zu einem anderen Stockwerk benutzen. Dort angelangt, schauen sie Xaviera zu, wie sie mit Tochter Klara spielt, einer zurechtgebastelten Puppe mit einer Elektronikplatte als Kopf.
Die Idee für dieses Projekts ist 2008 bei einem Künstlertreffen in Korea entstanden. Es seien die Koreaner gewesen, die mit ihrer Vorliebe für deutsche Autoren die Künstlertruppe auf zwei Texte, von Kleist und von Heiner Müller, die beide den „Findling“ im Namen tragen, aufmerksam gemacht haben, erzählt Janina Janke. Danach musste nur noch der passende Ort gefunden werden. „Das VWS-Gebäude produziert Angst“, sagt Janke, „wir wollten uns diesem Raum stellen. Der hat einen anderen Rhythmus, ein anderes Zeitgefühl. Ein Ton, der von einer Seite losgeschickt wird, ist fünf Sekunden später auf der anderen Seite. Er wird währenddessen immer tiefer. So etwas inspiriert uns.“
Diese Inspiration schlägt sich etwa in den Gefühlsausbrüchen des Familienoberhaupts Piachi nieder. Dieser funkt, stört, und sendet Signale mithilfe klug ausgetüftelter Apparaturen. Und türmt in einem letzten Racheakt große Wellen im Wasserbecken auf. Womit das Stück endet.
HÜLYA GÜRLER
■ Vorstellungen: 21., 25. und 27. August, 20 Uhr, Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau, Schleuseninsel/Müller-Breslau-Straße, 10623 Berlin