: Flotte Käfer im Anflug
In Berlin macht sich ein asiatischer Marienkäfer namens Harmonia axyridis breit. Wird der Neuankömmling den heimischen Siebenpunkt verdrängen? Die Geschichte einer Zuwanderung
von ANTJE LANG-LENDORFF
Berlin hat einen neuen Einwohner. Er trägt den stolzen Namen Harmonia axyridis. Der asiatische Marienkäfer ist an allen Einbürgerungsregeln und Sprachtests vorbeigekrabbelt und hat es sich in den Nischen und Ritzen der deutschen Hauptstadt, unter Fensterbänken und Blumenkästen, auf Linden und Ahornbäumen bequem gemacht.
„Der Harmonia axyridis ist vor fünf Jahren in Berlin angekommen und hat sich seitdem kontinuierlich ausgebreitet“, sagt Christoph Bayer, Insektenkundler des Naturschutzzentrums Ökowerk Berlin. Das kann Barbara Jäckel vom Planzenschutzamt bestätigen: „Der asiatische Marienkäfer hat sich besonders in diesem Frühjahr überdimensional vermehrt.“ Sie wird den Verdacht nicht los, dass der fremde Käfer eine Gefahr darstellt – und heimische Arten wie Siebenpunkt und Zweipunkt verdrängt.
Anders als der rote, immer gleich aussehende Siebenpunkt- oder Zweipunkt-Käfer ist der Harmonia mal orange, mal rosa, mal dunkelrot, mal ganz schwarz. Eindeutig erkennen kann man ihn nur an einem Knick hinten an der Flügeldecke. Denn auch die Zahl der Punkte auf seinem Rücken variiert. Manche der Asiaten tragen nur eine einzige schwarze Zeichnung auf den Flügeln, andere 19 auf einmal. Der große Vorteil des Harmonia: Er hat mehr Spaß an der Fortpflanzung als sein deutscher Artgenosse. „Anders als viele heimische Marienkäfer kann er mehrere Generationen pro Jahr hervorbringen“, sagt Bayer.
Eigentlich sollte Harmonia nur zum Arbeiten kommen, er sollte Blattläuse fressen. Man sammelte ihn in Japan von den Bäumen, transportierte ihn nach Europa und setzte ihn in den Gewächshäusern aus. Und weil er großen Hunger hat, kam ihm das gerade recht. Aber Harmonia wollte mehr, er wollte bleiben. Er büchste aus den Glashäusern aus, zog ins Land und ließ sich nieder. Den Marienkäfer, den man rief, wird man nun nicht mehr los.
Am liebsten reist der Harmonia motorisiert. Er sitzt auf Gemüsepaletten, die auf Lkws durchs Land gekarrt werden, auf der Kleidung von Menschen, die im Wagen über die Autobahn düsen, und gelangt so von einer Menschensiedlung zur nächsten.
Genau da will er hin. Denn besonders die deutschen Großstädte haben es dem Krabbler angetan. In Frankfurt und Hamburg bemerkte man schon vor Jahren den neuen Mitbürger. In seiner Heimat verkriecht er sich im Winter am liebsten in geschützte Felsspalten. Berlin ist für ihn eine einzige große Steinlandschaft, ein ideales, neues Zuhause. Die Felsen werden im Winter sogar beheizt. Sie bleiben trocken und verhindern, dass Pilze den Käfer befallen. Auch das Futter hat er im Frühling direkt vor der Tür. Auf den 416.000 Berliner Straßenbäumen sitzen genug Blattläuse, um den Harmonia und seine Kinder zu sättigen. So leben die Tiere ein Jahr lang, einzelne werden sogar zwei Jahre alt.
Die Beobachtungen des Pflanzenschutzamtes deuten darauf hin, dass der asiatische Neuankömmling die deutschen Marienkäfer geradezu überrennt. „Uns sind dieses Jahr viel weniger Siebenpunkte und viel mehr asiatische Käfer in die aufgestellten Fallen gegangen“, sagt Barbara Jäckel. Frisst der Asiate den heimischen Marienkäfern etwa die Läuse weg?
Insektenforscher Bayer will von Futterneid und Überfremdungsängsten nichts wissen: „Die Konkurrenz unter den Käfern ist noch gar nicht nachgewiesen“, sagt er. Nach seiner Einschätzung können vom Ungeziefer eines ausgewachsenen Baumes bis zu 200 Marienkäfer satt werden. „Keine Sorge, es sind genug Läuse für alle da.“
Bayer plädiert deshalb für einen entspannteren Umgang mit dem Zuwanderer. „Der Harmonia axyridis ist wie gemacht für das Stadtklima. Der Siebenpunkt überwintert dagegen auch gerne in Grasbüscheln und unter Rinden, also auf dem Land. Es ist gut möglich, dass sich die Käfer die Lebensräume aufteilen“, sagt der Insektenkundler.
Der Harmonia wäre dann vor allem eine Bereicherung unserer Fauna. Und ein nützlicher Geselle bei der Vernichtung der Berliner Blattläuse. Als Glücksbringer gelten Marienkäfer auch, egal welcher Herkunft. Und vom Glück hat man doch eigentlich nie genug.