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Archiv-Artikel

Schlammschlacht der Memoirenschreiber

GROSSBRITANNIEN Am Mittwoch erscheint die Autobiografie von Tony Blair. Der Expremier will mitprügeln im Kampf um die Deutungshoheit über das Reformprojekt New Labour

New Labour‘s Abrechnung

■  Der Termin: Unter dem Titel „A Journey“, „Eine Reise“, erscheint am ersten September die Autobiografie des britischen Expremierministers Tony Blair.

■  Die anderen: Blair ist schon der dritte Kopf der Labour-Parteireformer im Buchladen. Im April veröffentlichte Gordon Brown seine Redensammlung „The Change We Choose“ (Der Wandel, den wir wählen). Nach Zeitungsberichten wurden bis Anfang August allerdings nur 32 Exemplare verkauft. Das Buch „The Third Man“ (Der dritte Mann) des New-Labour-Hauptarchitekten Peter Mandelson aus dem Juli schaffte es dagegen, in Großbritannien eine Debatte zu entfachen.

VON Dominic Johnson

Es herrscht Krieg in Großbritannien – ein Krieg der Memoiren. Tony Blairs Erinnerungen, die in der kommenden Woche erscheinen, sind der Höhepunkt einer beispiellos narzisstischen Schlammschlacht, die mehr als jede Wahlniederlage deutlich macht, warum die Labour-Partei in diesem Jahr die Macht verdient verlor.

„Tony Blair: A Journey“ (Eine Reise) dürfte seinem Titel treu bleiben: eine Selbstrechtfertigung mit Hintergedanken. Der britische Premierminister von 1997 bis 2007 schreibt auf seiner Webseite: „Eines der schönsten Dinge beim Schreiben dieses Buches war, dass ich mir Zeit nehmen konnte, auf meine politische Karriere bis jetzt zurückzublicken.“ Man achte auf „bis jetzt“. Stillhalten will der Politiker Blair in Zukunft nicht.

Im Juli stürzte Peter Mandelson, der als „Prinz der Finsternis“ geschmähte Strippenzieher des Blair-Brown-Projekts New Labour, seine Partei in eine geradezu existenzielle Krise, als er mit seinen Memoiren „The Third Man“ (Der Dritte Mann) die gesamte schmutzige Wäsche der ewigen Rivalität zwischen Tony Blair und Gordon Brown ausbreitete. Der Titel war, wie alles bei Mandelson, eine reine Plattitüde, die so platt daherkam, dass jeder sie für eine Hintersinnigkeit hielt. Seit der Erfindung von New Labour Mitte der neunziger Jahre hält die Partei Mandelson für ihren gewieftesten Strategen, obwohl er alles gnadenlos in den Sand gesetzt hat.

„Blair dachte, Brown sei verrückt“ gehörte zu den üblichen Schlagzeilen nach dieser Buchveröffentlichung. Sie erweckte den Eindruck, dass die Erfindung des „Dritten Wegs“ und die Abenteuerfahrt namens New Labour nichts mit Ideologien zu tun hatte, sondern rein von persönlichen Konflikten gesteuert wurde. In denen er, Mandelson, natürlich keine Rolle spielte. Wenn man die Sache so betrachtet, ist Mandelson kein Stratege, sondern überflüssig.

Blair wird nicht in die Falle tappen, sich klein zu machen. Eher wird er seine Rolle so weit nach vorne stellen, dass es peinlich wird. Es gehört heute zum guten Ton bei Labour, Blair möglichst nicht zu erwähnen. Der erfolgreichste Wahlsieger der Parteigeschichte ist eine Unperson geworden. Die bloße Erwähnung seines Namens erzeugt bei einigen Kollegen ähnlich fanatische Hassgefühle wie einst die Worte „Margaret Thatcher“. Die Lügen im Irakkrieg. Der Irakkrieg. Seine Art, Labour als Geisel zu nehmen, um Wahlen zu gewinnen. Seine Art, Wahlen zu gewinnen. Heute definiert sich Labour gegen New Labour.

New Labour ist heute so tot, dass sich kaum noch jemand daran erinnern kann, wie es einmal lebte. Vor gut zehn Jahren galt der Siegeszug des Blairismus, der „Dritte Weg“ mit seinem Guru Anthony Giddens, als Erfolgsrezept. Labour hatte, so hieß es, das Geheimnis der Quadratur des Kreises gelöst: sowohl links als auch rechts sein, sowohl soziale Gerechtigkeit als auch die Entfaltung der Wirtschaft fördern. Alle eiferten ihm nach: Gerhard Schröder, Bill Clinton, Lionel Jospin, Romano Prodi. All diese Giganten der Linken im 21. Jahrhundert. Na ja, fast jedenfalls.

New Labour ist heute so tot, dass sich kaum noch jemand daran erinnern kann, wie es einmal lebte

Blair war angeblich verärgert, dass Mandelson ihm mit seinen Memoiren zuvorkam. Das Mandelson-Opus erschien gerade zwei Monate nach Labours Wahlniederlage, war also wohl nicht erst in diesen zwei Monaten geschrieben worden. Aber immerhin kam es vor der Sommerpause und ist schon wieder vergessen. Blair kommt zum Herbst auf den Markt, sein Buch wird die politischen Diskussionen überschatten und, schlimmer noch, die laufende Wahl eines neuen Labour-Parteichefs. Das immerhin ist für den Betrachter auch von Vorteil. Kein Führungswahlkampf in der Labour-Geschichte war so inhaltsleer wie dieser. An der Spitze stehen zwei Brüder: Ralph Miliband und Ed Miliband, zwei Exminister, zwei Sprösslinge einer etablierten linken Intellektuellenfamilie, wovon man lernt, dass linke Intellektualität sich nicht vererbt.

Die Art, wie Labour an Blair und seinem Vermächtnis scheitert, erinnert an die Schwierigkeiten der deutschen Grünen mit Joschka Fischer. Man stelle sich vor, die Grünen hätten mit gleich mehreren Joschkas zehn Jahre lang regiert. Wäre dann anschließend noch jemand in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen? Ein Wunder, dass der konservative britische Premierminister David Cameron halbwegs kohärent regiert.

Blair und Mandelson erklären New Labour so: Tolle Idee, Ausführung scheiterte leider an den Ausführenden. Gemessen daran ging es Großbritannien allerdings ganz gut. Nach dreizehn Jahren Labour ist das Land ein viel lebenswerteres als vorher. Vielleicht dient das Aufeinander-Herumhacken der Giganten ja dazu, die Probleme Großbritanniens auf Personen zu reduzieren. Auf Personen, die längst nicht so groß sind, wie sie dachten. Womit auch die Probleme viel kleiner sind als befürchtet.