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Archiv-Artikel

Tausend Arme, ein Buddha

In Tibet öffneten nicht alle Klöster ihre Schatzkammern. Die Politik musste ausgeklammert werden. Doch rund 150 wunderschöne, religiöse Kunstwerke sind jetzt in der Essener Villa Hügel zu sehen

VON PETER ORTMANN

Manche Welten scheinen Universen weit entfernt. Das scheint für die Villa Hügel, dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Krupp in Essen, ebenso zu gelten wie für Tibet. Rund 150 Exponate – von lebensgroßen Skulpturen über kunstvolle Schriften und viele Mandalas bis hin zu goldenen Schreinen und einer langen Trompete – geben jetzt dort einen Einblick in die buddhistische Kultur der alten Tibeter.

Die ist mit der kunstvollen Personifizierung des Religionsstifters eng verbunden. Gleich beim Eintritt in die abgedunkelten Räume steht der Besucher zehn annähernd lebensgroßen Figuren gegenüber. Es sind Bronzeportraits von Meistern der Sakya-Schule, die ins 16. Jahrhundert datiert wurden. Buddha ist allgegenwärtig. Sitzend, stehend, predigend oder transzendent meditierend. Doch es wird nie langweilig. Zu kunstfertig sind die aus Kupferblech gearbeiteten Figuren. Geschmückt mit Edelsteinen und Gold wird jeder Buddha zum Erlebnis, der älteste stammt aus dem Jahr 473 nach Christus.

„Die meisten der Skulpturen, Gemälde und Altargeräte haben das Land zuvor noch nie verlassen“, sagt Professor Paul Vogt, Vorstand der Kulturstiftung Ruhr. Kein Wunder, achtet doch die chinesische Regierung peinlichst darauf, den politischen Status Quo mit Gewalt zu wahren. Doch in Essen gab es wenig Probleme. „Die chinesische Regierung hat als Bedingung für die Ausstellung nur verlangt, dass sie nicht politisch ausgelegt werden dürfe“, sagt Ausstellungs-Kuratorin Jeong-hee Lee-Kalisch. Auch der vier Kilogramm schwere Katalog konzentriert sich deshalb auf kunsthistorische Beschreibungen, die um 1950 enden, dem Zeitpunkt der Besetzung Tibets durch China. Die Klöster seien aber in ihrer Entscheidung zur Herausgabe der Kunstschätze frei gewesen. „Sehr viele Klöster haben sich auch unseren Wünschen verweigert“, sagt die Kuratorin.

Vielleicht auch, weil die Schätze heute noch als Ritual- und Kultobjekte dienen. Denn die tibetische Kunstgeschichte ist untrennbar mit der geistig-religiösen Geschichte auf dem „Dach der Welt“ verbunden. In wohl kaum einem anderen Land der Erde ist die Überzeugung von der Richtigkeit des Glaubens so konstant im Bewusstsein ihrer Bewohner verwurzelt. Bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts lebten mehr als 300.000 Mönche in rund 3.000 Klöstern. Das war fast ein Viertel der männlichen Bevölkerung. Der völlig gewaltfreie Buddhismus – das ist im Gegensatz zu anderen Religionen bis heute immer noch so – ist tibetische Identität und alle Kunst war immer Ausdruck dieser Haltung. Dennoch sind genügend Schatzkammern geplündert worden. Die Klöster Sakya, Tashi Lhunpo, Gyantse Palkhor Chöde, Shalu und Mindroling gehören neben dem Potala-Palast in Lhasa mit seiner schier unermesslichen Sammlung, zu den wichtigsten Leihgebern.

Im zentralen Raum der Villa Hügel haben Szenografen an einer Wand, geschickt ausgeleuchtet, den Palast des Dalai Lama installiert. Gegen das monströse Bauwerk direkt unter den Wolken wirkt der Stahl-Palast der Krupps wie eine Kleingarten-Laube. Davor sind Kleidungsstücke und das Reitzeug eines Dalai Lamas zu sehen und eine Schale aus einem menschlichen Schädel, in Gold gefasst, versteht sich.

Die Atmosphäre wirkt trotz der Glasvitrinen sehr spirituell. Das ist ganz anders als bei der Anhäufung christlicher Sakralgegenstände in Paderborn, wo man zeitgleich den so genannten Gang nach Canossa als Erschütterung der Welt abfeiert. Davon hat damals in Tibet bestimmt niemand etwas bemerkt.

In Anlehnung an die „Sechs Objekte der buddhistischen Zuflucht“ ( 1. Buddha, 2. Dharma, 3. Sangha, 4. Lama, 5, Yidam sowie 6. Dakini zusammen mit Dharmapala) wird der Besucher in fünf Themenkomplexen in die Welt der tibetischen Gottheiten und Lehrmeister eingeführt. Glanzpunkte sind eine große Skulptur des Tausendarmigen Avalokitesvara mit einzeln gearbeiteten Händen und ein außergewöhnlich gut erhaltenes indisches illuminiertes Manuskript aus dem 11. Jahrhundert. Ein Raum widmet sich dem Mandala, dem heiligen Kreis des tantrischen Buddhismus, der den Makrokosmos des Universums mit dem Mikrokosmos der menschlichen Erfahrungen verbindet. Dazwischen Gegenstände aus dem Alltag der Religionsausübung, zu der auch die tibetische Medizin gehört mit ihrem ganzheitlichen Ansatz. Sechs Rollbilder erklären das medizinische Handbuch „Die vier Tantras“. Manche bebilderten Anweisungen für die Verbesserung der Lebensqualität würden im Vatikan auch heute für Schweißausbrüche sorgen.

Bis 26. Oktober 2006