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Archiv-Artikel

„Auch positiver Rassismus kann nerven“

Die deutsche Soul-Sängerin Joy Denalane hat mit „Born & Raised“ gerade zum ersten Mal ein englischsprachiges Album veröffentlicht. Ein Gespräch über die Vereinbarkeit von Familienleben und Pop-Karriere, schwarzes Selbstbewusstsein in Deutschland und ihre Verbundenheit mit Südafrika und den USA

INTERVIEW ZONYA DENGI UND DANIEL BAX

taz: Frau Denalane, Sie haben zwei Söhne von zwei und fünf Jahren und verfolgen trotzdem noch eine Pop-Karriere: Nicht gerade ein typisches Modell. Wie leicht ist es für Sie, Beruf und Familie zu vereinbaren?

Joy Denalane: Es ist tatsächlich nicht so einfach, beides zusammenzubringen. Ich kenne auch nicht so viele Frauen in meinem Umfeld, die in meinem Alter sind und sich für beides entscheiden. Bei uns geht es, weil ich einen Mann habe, der mich total unterstützt. Und dann sind wir gut organisiert und können uns auch eine Kinderfrau leisten. Ohne sie würde es nicht gehen.

Nehmen Sie Ihre Kinder mit auf Tournee?

Wir haben unsere beiden Kinder schon mit auf Tour genommen. Aber für Kinder ist das eigentlich sehr langweilig: Da sind nur Erwachsene und man kommt morgens in Clubs an, die nach kaltem Rauch und Alkohol riechen, macht dann seinen Soundcheck und hängt anschließend in der Stadt rum. Ich kenne ein, zwei „backstage babies“, wie ich sie nenne, und ich habe den Eindruck, das denen irgendetwas fehlt. Vielleicht weil sie nie lernen mussten, sich gegenüber Gleichaltrigen durchzusetzen. Ich finde, dass Kinder mit ihren Freunden aufwachsen sollten.

Sie haben Ihr Album in den USA aufgenommen. Was haben Sie da gemacht?

Wir waren drei Monate in Philadelphia und haben die Kinder mitgenommen. Meine Schwester, die gerade ihr Studium beendet hat, hat die Kinder gehütet, wenn wir im Studio waren. Wo die Kinder dabei sein können, da sind sie auch dabei. Aber im nächsten Jahr wird das schon schwieriger werden, denn unser ältester Sohn kommt in die Schule und dann ist es nicht mehr so leicht, mitten im Jahr für ein paar Monate abzuhauen.

Sie selbst sind in einer Familie mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Ist das eine Stütze?

Als Kind war ich immer von meinen Geschwistern umgeben und fand das auch toll. Meine Mutter lebt ja leider nicht mehr, sie ist vor fünf Jahren gestorben. Aber meine Geschwister und mein Vater sind alle hier. Der Zusammenhalt der Familie bedeutet mir sehr viel. Und wenn die Kinderfrau mal ausfällt, kommt schon mal ein Geschwisterchen vorbei.

Was machen die so?

Ein Bruder ist Heilpraktiker, der andere macht eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, und der dritte ist Geschäftsführer in der Gastronomie. Eine meiner Schwestern arbeitet bei uns im Büro, ist also quasi meine Assistentin, und die andere arbeitet als Reitlehrerin.

Klingt recht bürgerlich. Wir dachten, Sie seinen in den Straßen von Kreuzberg aufgewachsen.

Es stimmt schon, ich bin in einer Hochhaussiedlung in Kreuzberg aufgewachsen. Aber ich fand das eigentlich ganz toll, denn wir sind damals aus einer Altbauwohnung in einen Neubau gezogen, und da kam mir alles neu und edel vor. Wir hatten sogar zwei Etagen, das hatte niemand von meinen Freunden, und gegenüber war ein Park mit Spielplätzen, da waren immer viele Kinder. Als Kind denkt man ja auch nicht so viel drüber nach. Aber als ich neulich noch einmal in der Gegend war, da fiel mir dann doch auf, dass das ganz schön roughe Kids sind – das ist schon ziemlich street.

Hat Sie das geprägt?

Im Nachhinein würde ich das schon sagen, ja. Aber ich war auch eine sehr gute Schülerin und bin dann schon nach der vierten Klasse auf ein humanistisches Gymnasium nach Steglitz gewechselt. Da waren natürlich viele Kinder aus gutem Hause, deren Eltern in guten Positionen waren, und der Anspruch war wahnsinnig hoch. Aber dadurch habe ich gelernt, in beiden Welten zu leben. Das hilft mir noch heute.

Gab es keine Ausgrenzung?

Die gab es immer, aber ich würde das nicht überbewerten. Klar, ich wurde auch diskriminiert, mir wurden komische Sachen nachgesagt, aber es hat mich nicht gebrochen. Natürlich ist das schlimm für ein Kind, aber es hat nicht mein Leben bestimmt. Das liegt auch daran, dass meine Eltern absolut hinter mir standen: Wenn ich erzählt habe, was mir in der Schule passiert ist, dann war meine Mutter sofort beim Direktor und hat dem die Hölle heiß gemacht. Sie war nicht sehr beliebt in der Schule (lacht). Wir waren jetzt auch keine Kinder von Traurigkeit und haben auch gerne mal Ärger gemacht. Aber wenn bestimmte Grenzen überschritten wurden, dann sind meine Eltern eingeschritten. Deswegen hatte ich nie ein Problem mit meiner Identität.

Begegnen Sie auch positivem Rassismus – also, dass sie aufgrund Ihrer Hautfarbe bevorzugt werden?

Ja, ständig. Da ist ein einziger Platz im Restaurant frei, die Schlange ist riesengroß und gerade ich werde herausgepickt. Da denke ich mir dann auch: Na danke schön. Es gibt halt immer auch die, die zeigen wollen, dass sie total offen sind und politisch korrekt. Das kann auch nerven, ist aber natürlich besser als umgekehrt.

Gerade viele schwarze Deutsche haben oft ein gebrochenes Verhältnis zu ihrer Herkunft: Die bekannte afrodeutsche Dichterin May Ayim etwa hat sich immer sehr unwohl in ihrer Haut gefühlt und beging am Ende sogar Selbstmord. Können Sie so etwas nachvollziehen?

Ich kann das sehr gut nachempfinden. May Ayim ist ja auch ohne ihren schwarzen Vater aufgewachsen. Ich habe ihr Buch vor einer ganzen Weile gelesen, aber ich erinnere mich an so Dinge wie, dass sie sich immer gewaschen hat, damit sie heller wird, oder dass ihre Mutter ihr die Haare immer glatt gekämmt hat, damit man nicht sieht, wo sie herkommt.

Ging es Ihnen auch so?

Nein, solche Probleme habe ich nie gehabt: Mein Vater war ja immer da, meine Eltern waren über 30 Jahre lang zusammen und ich wusste immer, warum ich so aussehe, wie ich aussehe. Ich hatte keine Schwierigkeiten, weil ich als Kind gewollt war und meine Eltern uns immer schön fanden. Es gibt aber viele Mütter, die sich im Nachhinein schämen, dass sie mal mit einem schwarzen Mann zusammen waren, und das Kind spürt das. Wenn du auf der Straße nicht akzeptiert wirst, dann ist es schwierig, wenn du da von deinen eigenen Eltern nicht aufgefangen wirst.

Sie kennen solche Beispiele aus Ihrem Bekanntenkreis?

Ich kenne viele Afrodeutsche, die ohne ihren schwarzen Elternteil aufgewachsen sind und häufig Sätze hören mussten wie: Du bist genau wie dein Vater und das mag ich nicht an dir. Das kann sehr verletzend sein.

Initiativen wie „Brothers Keepers“ und „Sisters Keepers“ hatten ja den Sinn, mehr afrodeutsches Selbstbewusstsein zu zeigen. Sie haben sich daran nicht beteiligt. Warum nicht?

Ich fand das Projekt grundsätzlich gut, aber die Energie hat mir zuletzt nicht mehr gefallen. Aber das ist jetzt ein längeres Thema, das würde zu weit führen. Wenn ich das richtig verfolgt habe, dann hat sich das etwas gespalten. Aber das ist ja auch normal für eine so junge Bewegung, dass sich das alles erst langsam finden muss. Nur die gleiche Hautfarbe zu besitzen bedeutet halt nicht, dass man deshalb auch gleicher Meinung sein muss.

Auf Ihrem neuen Album „Born & Raised suchen Sie nun die Nähe zum amerikanischem Soul …

Finden Sie? Gut, es klingt auf jeden Fall soulfuller. Aber im Vergleich zu zeitgemäßen Produktionen ist es doch total unamerikanisch: Es hat doch in den letzten zehn Jahren aus den USA keine Platte gegeben, die so geklungen hat. Die Musik basiert schon auf Soul. Aber es ist ein sehr eigenes Konzept.

Sie singen auf Ihrem neuen Album auf Englisch. Hoffen Sie, damit im Ausland oder in den USA besser Fuß fassen zu können?

Ja, das kann ich nicht leugnen. Natürlich eröffnet mir die Sprache ganz andere Märkte, und wenn ich mich dafür nicht verbiegen muss, dann finde ich das natürlich toll. Denn die Musik ist doch eines der letzten Dinge, die die Menschen vereint.

Stellen die USA für Sie einen Sehnsuchtsort dar?

Ich liebe Amerika aufgrund der Musik – aber das ist auch schon das einzige Verhältnis, das ich zu den USA habe. Auch alle Leute, die ich dort kenne, stammen aus der Musikszene, ich bewege mich, wenn ich dort bin, eigentlich nur unter Musikern. Bei meinem letzten Besuch in New York bin ich durch Harlem gelaufen und da war gerade das „Harlem Summer Stage“, ein Festival mitten auf der Straße. Vor so einem Gebäude saßen da ganz viele alte und junge Leute, die sich einfach über die Musik gefreut haben und das einfach rauslassen – das liebe ich. So etwas findest du hier in Deutschland nicht.

Fühlen Sie sich in den USA eher zu Hause, weil dort das schwarze Bewusstsein stärker ausgeprägt ist?

Ich fühle mich dort auf jeden Fall schwarz, aber das fühle ich mich auch hier. In der schieren Menge von schwarzen Menschen fällt man nicht so auf. 20 bis 30 Prozent sind dort schwarz: Schon wenn ich aus dem Flugzeug steige, tauche ich da ein. Die merken zwar sofort, dass ich anders bin und nicht aus Amerika stamme, aber das spielt keine Rolle.

Ihr Vater stammt aus Südafrika, und Sie sind öfters dorthin gereist. Welche Beziehung haben Sie zu dem Land?

Es ging eigentlich immer darum, die Familie zu sehen. Es wäre für uns unvorstellbar gewesen, unter dem Apartheidssystem dort Urlaub zu machen, während die Verwandten abgeknallt oder gesteinigt wurden. Für mich war es immer ein politisches Land. Ich habe nur einmal meinen Urlaub dort verbracht, in einem schönen Ort in Kapstadt, aber irgendwie war es komisch: Weil Südafrika noch immer so kontrovers ist. Natürlich gibt es das Apartheidssystem nicht mehr. Aber es gibt nach wie vor Rassismus, und der ist sehr präsent.

In vier Jahren soll dort die Fußball-WM stattfinden. Können Sie sich das vorstellen?

Ja, und ich bin sehr gespannt. Ich werde dann auf jeden Fall hinfahren und dort sein.