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Archiv-Artikel

„Wir bezahlen keinen Pizzo“

In Süditalien gehen Ladenbesitzer und Verbraucher gegen Schutzgelderpressung vor

BERLIN taz ■ Es war eine echte Überraschung, die sich den Ladenbesitzern in der Einkaufsstraße Via Toledo in Neapel dieser Tage bot. Auf den Rollläden ihrer Geschäfte fanden die Kaufleute beim morgendlichen Aufschließen einen Zettel vor mit schwarzem Trauerrand und der Aufschrift: „Gegen Schutzgeld – verändere dein Kaufverhalten.“ Tagelang berichteten Fernsehen, Zeitung und Radios in und außerhalb Neapels über diese Aktion. Und machten sie damit zu einem Erfolg. Ziel der Aktion war es, einerseits die Kaufleute, die erpresst werden, zu provozieren, und andererseits diejenigen zu unterstützen, die den Mut haben, den berüchtigten „Pizzo“ – das Schutzgeld – nicht zu zahlen.

Schon vor einem Jahr hatte eine Gruppe von Studenten unter dem Namen Contracamorra (Gegen die Camorra) die Stadt mit ähnlichen Plakaten wachgerüttelt. Damals war auf den Plakaten zu lesen: „Ein Volk, das Schutzgeld bezahlt, ist ein Volk ohne Würde.“ Der Pizzo wird von Geschäftsleuten und Unternehmern an die Mafiagruppe Camorra gezahlt und macht einen Teil des Einkommens dieser kriminellen Organisation aus. „Die Schutzgelderpressungen dienen der Camorra aber auch zur Kontrolle ihres Territoriums“, erklärt die 27-jährige Anwältin und Contracamorra-Aktivistin Roberta.

Nach einem Jahr ist ihr Komitee wieder aktiv und arbeitet an einer neuen Strategie. Ziel der Kampagne ist jetzt, die Konsumenten dazu zu bringen, Pizzo-kritisch einzukaufen. Nicht nur Geschäftsleute und Unternehmer sollen sich weigern, den Pizzo zu bezahlen, sondern auch die Konsumenten: „Wenn wir in eine Bäckerei, ins Kino oder in ein Bekleidungsgeschäft gehen und unser Geld ausgeben“, sagt Roberta, „müssen wir uns auch darüber bewusst sein, dass ein Teil des Kaufpreises in die Camorra-Kassen geht.“

Nach Angaben des Einzelhandelsverbands Confesercenti muss ein Supermarkt in Neapel monatlich rund 3.000 Euro Abgaben an die Camorra zahlen und ein Geschäft im Zentrum rund 1.000 Euro. Vier von zehn Geschäften zahlen. „Wir haben schon mit etwa 200 Einzelhändlern und Unternehmern, die ihre Erpresser angezeigt haben, Kontakt. Diese Leute wollen unsere Kampagne unterstützen und werden im September öffentlich verkünden: ‚Wir zahlen nicht mehr.‘“ sagt Roberta. „Danach werden wir eine Liste mit ihren Namen und Adressen veröffentlichen, um den Verbrauchern zu ermöglichen, dort einzukaufen, wo kein Schutzgeld bezahlt wird.“

Inzwischen haben sich etwa 1.500 Neapolitaner mit ihrer Unterschrift verpflichtet, „Pizzo-freie“ Betriebe zu bevorzugen. Die Idee des kritischen Konsums gegen das Schutzgeld kommt aus Palermo, wo sich vor zwei Jahren ein ähnliches Komitee, „Addiopizzo“ – zu Deutsch „Schutzgeld ade“ –, gebildet hat. Bis heute haben sich mehr als 7.500 Palermer verpflichtet, vorrangig bei Pizzo-freien Betrieben einzukaufen. Auf den Ladentüren von weit mehr als einhundert Geschäften und Lokalen prangt der Aufkleber „Wir bezahlen keinen Pizzo“. Eine Sicherheitskommission prüft die Läden und ihre Besitzer durch Anhörungen und die Sammlung von Verfahrens- und Verwaltungsdokumenten. In die Liste aufgenommen werden Geschäftsleute, die bereits Erpresser angezeigt haben oder die von der Mafia verschont werden, weil ihre Geschäfte zu klein sind. Diese Liste ist auf der Webseite von Addiopizzo veröffentlicht.

In Palermo, wo 70 Prozent der Geschäftsleute „Pizzo“ zahlen, war die Arbeit des Komitees nicht so einfach wie in Neapel. „Es war sehr schwierig am Anfang, die Einzelhändler zu überzeugen und das Tabuthema des Pizzo überhaupt anzusprechen“, erzählt der 26-jährige Publizist Andrea Cottone. Oft wurde mir gesagt: „Hehre Worte, aber wer schützt mich, wenn ich abends die Rollläden runterlasse?“ Danach haben die Leute langsam angefangen, sich gegenseitig zu überzeugen. Jetzt wollen viele schon, bevor sie einen neuen Laden öffnen, auf der Liste stehen. Für Palermo ist das schon revolutionär“. FILIPPO PROIETTI