Kreis Northeim reglementiert ehelichen Sex

RÄUMLICHE BESCHRÄNKUNG Die Ausländerbehörde pocht bei einem irakischen Flüchtling auf die Residenzpflicht. Geschlechtsverkehr sei kein zwingender Grund für eine „Verlassenserlaubnis“

„Der verhängte Zwangszölibat ist ein bürokratischer Exzess“

FLÜCHTLINGSRAT UND PRO ASYL

Die Residenzpflicht, die den Bewegungsradius von Asylsuchenden auf das Gebiet eines Landkreises beschränkt, schlägt neue Kapriolen. Ein irakischer Flüchtling darf nicht zu seiner Frau fahren und Sex mit ihr haben, entschied der Landkreis Northeim. Eine „Verlassenserlaubnis“, belehrt die Behörde den Antragsteller in einem der taz vorliegenden Schreiben, werde entsprechend den gesetzlichen Vorschriften nur bei „bestehendem dringenden öffentlichen Interesse“ erteilt. Etwa, „wenn der Ausländer unter Zeugenschutz steht, oder zur Beschaffung von Heimreisedokumenten“.

Auch gebe es eine Reiseerlaubnis, wenn „zwingende Gründe“ vorlägen. „Dies kann z.B. der Besuch eines Facharztes oder eines schwer kranken Familienmitglieds sein.“ Der Wunsch nach Sex mit der Ehefrau sei jedenfalls kein solcher zwingender Grund: „Bei Ihrem Vortrag, Ihre Frau zu treffen, um mit ihr Sex zu haben, handelt es sich nicht um einen Grund, der den genannten Voraussetzungen entspricht“, heißt es in dem Behördenschreiben.

Das Amt führte auch an, dass der Flüchtling selbst erklärt habe, mit seiner Frau nicht standesamtlich, sondern lediglich nach irakischem Recht verheiratet zu sein. Im Übrigen sei die Ehefrau im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und „somit an keine räumliche Beschränkung gebunden“. Ihr sei es jederzeit möglich, „Sie in Northeim zu besuchen“.

Flüchtlingsorganisationen übten scharfe Kritik am Landkreis: „Der von der Northeimer Ausländerbehörde verhängte Zwangszölibat ist ein bürokratischer Exzess“, erklärten der Niedersächsische Flüchtlingsrat und Pro Asyl. Sie verwiesen darauf, dass in vielen deutschen Ausländerämtern „inquisitorische Befragungen von Behördenangestellten zur Beurteilung, ob eine Reise dringend oder zwingend sei“, an der Tagesordnung seien.

Die Residenzpflicht gilt innerhalb der Europäischen Union nur in Deutschland. Alle anderen EU-Mitgliedsstaaten gewähren auch Asylsuchenden das Recht auf Freizügigkeit. Aus Sicht des Flüchtlingsrates ist die Regelung ein „Relikt aus der Zeit des Kalten Krieges“. REIMAR PAUL