Gewinn um jeden Preis

STROMNETZE Mit intensivem Sponsoring buhlt der Energieriese RWE um den Weiterbetrieb des Essener Stromnetzes. Eine Bürgerinitiative beklagt Diskriminierung bei der Vergabe

„Objektiv hatten wir keine Chance, am Verfahren teilzunehmen“

ROLF SCHWERMER

AUS ESSEN ANDREAS WYPUTTA

Der neue Betreiber wird voraussichtlich der alte sein: Am Mittwoch dürfte der Essener Stadtrat die Konzession für den Betrieb des lokalen Stromnetzes erneut an den lokalen Platzhirsch RWE vergeben. Dem aktuellen Vertragsentwurf zufolge will sich Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) damit bis Ende 2034 an RWE ketten.

Trotz Atomausstieg und Gewinnwarnungen gibt sich der Konzern in Essen großzügig. Rund 100.000 Euro hat sich Deutschlands zweitgrößter Energieversorger eine „Thermalbefliegung“ kosten lassen. „Dank großzügiger Unterstützung des RWE“ können die mehr als 140.000 Essener Immobilienbesitzer kostenlos Wärmebilder ihrer Hausdächer bestellen, wirbt die städtische Klimaagentur. Die Beleuchtung im Gruga-Park sponsert der Konzern mit 500.000 Euro, einen Umweltpreis mit 10.000 Euro.

Dabei steckt das Essener Unternehmen in Schwierigkeiten: Die drei Buchstaben stünden für „Rasch wachsendes Elend“, lästern Insider. Denn das Nettoergebnis könnte auf 1,3 Milliarden Euro schrumpfen – ein Einbruch von 45 Prozent. Außerdem drücken hohe Schulden von 35 Milliarden Euro. Das entspricht der jährlichen Wirtschaftsleistung eines Landes wie Slowenien.

Für Konzernchef Peter Terium könnten sich die rund 600.000 für die Essener Lokalpolitik dennoch also als gute Investition erweisen. Großzügiges Sponsoring sei in Zeiten leerer Kassen „bei sehr vielen Kommunalpolitikern hochwillkommen“, heißt es in einer von der grünen Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenen Studie zur Neuvergabe kommunaler Stromnetze. Und sollte RWE erneut die Konzession für das Stromnetz erhalten, winken Millionengewinne: Schätzungen rechnen mit Kapitalverzinsungen von 7 bis 9 Prozent.

Konkurrenz muss der Platzhirsch bei der Vergabe nicht fürchten. Einerseits hatte sich neben dem Atomstromkonzern nur die Essener Stadtwerke um das Stromnetz beworben – an denen RWE selbst 29 Prozent hält. „Filz vom Feinsten“ sei der Grund für das mangelnde Interesse an der Vergabe, kritisieren Essener wie Rolf Schwermer, dessen Initiative EnergieNetzRheinRuhr sich dafür eingesetzt hat, das Netz in Form einer Bürgerbeteiligungsgesellschaft zu übernehmen. „Objektiv hatten wir keine Chance, am Interessebekundungsverfahren teilzunehmen“, klagt der Hochschullehrer – die Bürgerinitiative habe nur vier Monate Zeit gehabt, um kompetente Partner zu finden und die Finanzierung für den Millionendeal zu stemmen.

Die Stimmen von SPD- und CDU-Fraktion gelten als sicher. „Wir sollten uns freuen, wenn sich RWE hier in der Stadt engagiert“, findet etwa der finanzpolitische Sprecher der CDU-Ratsfraktion, Jörg Uhlenbruch. Denn der Konzern hat in einer anderen Ruhrgebietsstadt bereits klargemacht, dass mit dem Geldregen schnell Schluss sein kann: Nachdem der Konzern bei der Stromnetzvergabe im Waltrop leer ausging, gab es kein Geld mehr weder für ein Parkfest noch den „RWE-Klimaschutzpreis“.

Auch die Fraktionschefin der Grünen, Hiltrud Schmutzler-Jäger, wirbt für Zustimmung für die Vergabe an den Atomkonzern: Schließlich sei eine Rekommunalisierung nicht ausgeschlossen, da RWE eine Option angeboten habe, nach der die Stadtwerke an einer gemeinsamen Netzbetriebsgesellschaft beteiligt werden könnten. Dabei warnt die Studie des Wuppertal-Instituts, das Sponsoring könne als „Vorteilsnahme bzw. -gewährung“ sogar strafbar sein.

Energie-Aktivist Schwermer hält das Vorgehen dagegen für rechtlich fragwürdig. Der Rat müsse die Stromnetzvergabe noch einmal ausschreiben. „Nur so ist die vom Energiewirtschaftsgesetz geforderte Diskriminierungsfreiheit aller Anbieter gesichert“, fordert er: „Stuttgart hat das getan.“