: Aachen feiert die Pferde-Party
Vor der Eröffnung der Weltreiterspiele an diesem Sonntag ist Aachen ganz pferdejeck. „Der Sport hat sehr viel Sex-Appeal“, wirbt Organisator Michael Mronz. Und er verspricht der Stadt Millionen
aus Aachen BERND MÜLLENDER
Aachen, die Reitermetropole, wirbt mit dem Slogan „Immer eine Pferdelänge voraus“. Wenn eine solche Stadt nun ab Sonntag die Weltreiterspiele austragen darf, liegt Euphorie nah: Der Präsident des veranstaltenden Aachen-Laurensberger Rennvereins ALRV, Klaus Pavel, will sogar „die Stadt in die Welt tragen“ und sieht Aachen nunmehr „als Mittelpunkt des Weltgeschehens“. Oberbürgermeister Jürgen Linden (SPD) hat schon vor einem Jahr kühn geweissagt: „Alle reden von der Fußball-WM. Aber wir sind besser.“ Die WM sei „ein Weltereignis“, mit dem er „die Menschen stimulieren“ möchte. Es ist die erste Reiter-WM in Deutschland.
Die Region Aachen plant einen zusätzlichen Umsatz von knapp einer viertel Milliarde Euro ein. Alle Hotels, selbst der Campingplatz, sind seit über einem Jahr ausgebucht. Rund um den Hauptbahnhof sind die Reiterstadteinwohner lange genug von Umbauarbeiten gequält worden. Jetzt ist der Vorplatz als Visitenkarte der Viertelmillionenstadt großzügig und sehr gelungen umgestaltet, seine hässliche 50er-Jahre-Randbebauung wird die mehrheitlich feinen Besucher von Aachens Liebreiz indes nicht sofort überzeugen können. Immerhin dürften die Nichtsesshaften profitieren: Weite schlaf-freundliche Bankreihen werden, wenn die Sicherheitskräfte nach der WM reduziert werden, sicher gut angenommen.
Reiten ist, neben Saftprinte und Karlspreis, Aachens wichtigste Werbemarke. Derzeit ist die Innenstadt ein einziger Stall: 180 knallbunt designte Rösser-Skulpturen („WorldHorseParade“, initiiert von der Stiftung „AachenHorseAcademy“) stehen herum, rot-weiße Holzstangen als Oxer-Deko im Stoffgeschäft, goldene Pappzossen im Brautmodeladen, Plüschpferde mit Schlips in der Auslage des Herrenausstatters, Strohballen als branchenübergreifendes Lockmittel und vor dem Bäcker eine mächtige antike Holzkutsche mit angeschirrtem Original-Kaltblut. Im „Strunx“-Karneval wurde gespottet, es fehle nur eine Eventschlachterei im Reitstadion neben dem zweistöckigen Zeltpalast der vielen VIPs – dann hätten, falls mal ein bedauerliches Unglück passiert, die High Snobiety-Besucher gleich das beste Fleisch zur Hand für den berühmten Aachener Sauerbraten.
Und in fast allen Schaufenstern liegt das WM-Maskottchen aus oder steht herum. Es handelt sich um ein launiges Pferd mit mächtigem Pferdegebiss, das winken kann und originellerweise Karli heißt, weil in Aachen alles einen Bezug zu Kaiser Karl haben muss. Die taz höhnte, das urmelartige Geschöpf sehe aus, „als habe man den Fußball-Löwen Goleo mit dem letzten Einhorn gekreuzt“. Besserer Name also: Gauleo. Immerhin trägt das bunte Wesen ein weißes Kragenhemd und sogar eine Hose.
Einst war ganz Deutschland so pferde-euphorisch wie sich Aachen dieser Tage gibt: „Ich glaube an das Pferd,“ hat Kaiser Wilhelm II. einmal gesagt, „das Auto ist nur eine vorübergehende Erscheinung“. Trotz solcher Fehlprognose beschäftigt die Pferdewirtschaft heute landesweit 300.000 Menschen und sorgt für fünf Milliarden Umsatz im Jahr. Mit 760.000 Mitgliedern ist der deutsche der größte Pferdesportverband der Welt. Hiesige Reitersleut haben nach Schwimmen und Leichtathletik die meisten olympischen Medaillen (75) gewonnen, vor den Ruderern.
Reiten, heute nur eine Minderheitendisziplin, ein Massensport? Die Welt der edlen Rösser, sagt Aachens WM-Organisator Michael Mronz, der Lebenspartner von FDP-Chef Guido Westerwelle, „hat sehr sehr viel Sexappeal: Die Ästhetik der Reiterinnen, die Ausstrahlungskraft der Pferde, gerade junge Leute sind sehr reit-affin“. Stolz sind die Veranstalter darauf, dass erstmals alle Disziplinen, so Klaus Pavel, rund um die Reitstadien „zuschauerfreundlich in walking distance stattfinden“. Nur beim Distanzreiten über 160 Kilometer (der ersten Disziplin am Montag kreuz und quer durchs hügelige Dreiländerland) wird das Mitwalken für manchen schwierig.
Im Distanzreiten sind die Scheichs aus den Arabischen Emiraten die großen Favoriten (und ihr Staatschef Sheikh Ahmed Bin Mohd Al Maktoum der Titelverteidiger). Samt einer fast hundertköpfigen Entourage haben sie im Fünfsternehotel Quellenhof gleich einen ganzen Flügel belegt. Und weil Reichtum im Scheichtum eine lästige Selbstverständlichkeit ist, geben sie, wie man verlässlich aus dem Hause hört, ihren edlen Rössern nur bestes Evian-Wasser zu trinken. In den meisten anderen Disziplinen gelten deutsche Teilnehmer mit Leitungswasser-getränkten Pferden als (Mit-)Favoriten.
Medaillen erhoffen sich die Veranstalter im publikumsträchtigen Springreiten und vor allem in der Dressur, eine Goldgarantie seit 30 Jahren. Aber, warnt Weltmeisterin Nadine Capellmann schon: „Die Niederländer rücken uns zu Leibe.“ Zuletzt habe man „auch mit Glück“ überhaupt noch gewonnen.
Neben den Reitwettbewerben wird Aachen zusätzlich 240 Veranstaltungen erleben, davon 70 Konzerte. Kurzum: Die Stadt wird Party. Die Verzahnung zwischen dem Reiterfest in der Soers und der drei Kilometer entfernten Innenstadt soll durch „nachträgliche Siegerehrungen“ vor dem Rathaus und mit einer bewegten Schlussfeier mit allen Siegern hoch zu Ross und quer durch die Stadt gelingen. Und weil man in einer Bischofsstadt ist, wird man als geistlicher Aufgalopp, so ALRV-Geschäftsführer Frank Kempermann, die Spiele am Samstagabend „ganz brav mit einem ökumenischen Gottesdienst im Stadion 2“ eröffnen.
„Seit Karl dem Großen“, sagt Aachens Reiterchef Pavel, sei seine WM „das größte Event in Aachen“. Das hat durchaus fachlichen Bezug: Der Legende nach soll jener Karl nahe des heutigen Doms einmal vom Pferd gefallen und so begeistert von der weichen Landung im Morast gewesen sein, dass er hier seine Lieblingspfalz errichten ließ. Sein Abwurf gilt gleichzeitig als erstes kleines Reitturnier der Stadt. Und da am Tag vor Beginn der Reiterfestspiele Bundesligaaufsteiger Alemannia das erste Heimspiel seit über 36 Jahren (gegen Schalke 04) austrägt, dürfte das kommende Wochenende für Aachen auch jenseits aller Legenden tatsächlich das bedeutendste sein seit der Krönung Karls vor 1.206 Jahren.