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Archiv-Artikel

DIE ACHSE DES FOLK VON ULRICH RÜDENAUERGalgenhumor

Dass Conor Oberst von Bright Eyes und David Dondero Brüder im Geiste sind, lässt sich nicht überhören: Dieses meckernde Singen als Authentizitätsmarker haben sie beide drauf. Der 40-jährige fahrende Sänger Dondero ist mit seiner Gitarre schon länger als Conor Oberst, nämlich seit den frühen 1990er Jahren, on the road, als verspäteter Nachfahre der Beats dichtet er sich durchs amerikanische Hinterland: Auf den Highways liegen die manchmal grotesken Geschichten seiner Songs, das Rattern der Züge liefert ihm den Takt. Und der sagt: immer weiter geradeaus. Das neueste Album, in den USA wieder auf Conor Obersts Team Love Records-Label erschienen und in Omaha aufgenommen, handelt von „gebrochenen Herzen und gesprengten Brieftaschen“. Mit anderen Worten: Es geht ums Eingemachte im Leben, und wie sich das anfühlt, wenn man fast am Ende ist, aber doch nicht aufgeben will. Die Musik ist solides Americana-Handwerk, wie man es schon häufig gehört und wieder vergessen hat. Dann aber glimmen da manchmal unscheinbare und doch luzide Zeilen, die der Ernüchterung mit Galgenhumor begegnen, und man kriegt die Melodie und diesen leicht neben der Spur liegenden Gesang nicht mehr aus dem Kopf: „I can’t afford a therapist every single time I had to get depressed.“

■ David Dondero: „#Zero With A Bullet“ (Affairs Of The Heart/Indigo)

Zeitreise

Manche Zeitgenossen stecken so tief in der Vergangenheit, dass nur noch die Nasenspitze in die Gegenwart rausguckt. In den Zeiten, in denen sie es sich gemütlich machen, waren viele von diesen Leuten noch nicht einmal geboren. Pete Molinari ist so ein Kerl, Anfang 30, aus der Grafschaft Kent im Königreich England stammend und mit maltesischen, italienischen und ägyptischen Vorfahren gesegnet. Musikalisch aber ist er eindeutig das uneheliche Kind von Bob Dylan und Roy Orbison. Bei Molinari läuft das Genreprogramm der 50er und 60er Jahre mit seltener Konsequenz ab. Wenn er singt, dann kann er sich zuweilen nicht zwischen dem lieblichen Folkie-Gesang eines Phil Ochs, dem schmachtenden Balladenvibrato von Elvis, der abgebrühten Lässigkeit eines Sonny Bono und dem rotzigen Mir-gehört-die-Welt-Ton des frühen Dylan entscheiden. Seine Songs hat er in den kleinen Clubs des New Yorker Village und in den Musikkneipen in Memphis aufgesammelt – wahrscheinlich hängen sie dort noch immer in der Luft. Seine neueste, inzwischen dritte Platte ist in Nashville produziert worden, mit mehr Pathos und Selbstsicherheit in der Stimme als auf den Alben zuvor. Nostalgie ist ein obskures Gefühl, dem man prinzipiell misstrauen sollte, in schwachen Momenten aber auch mal hemmungslos nachgeben darf. Molinari tut es, und seine Sehnsucht nach den good old times, als die Musik noch rollte, ist so rührend, dass wir ihm ohne schlechtes Gewissen auf seiner Zeitreise folgen. Irgendwer wird uns schon wieder zurück in die Zukunft bringen.

■ Pete Molinari: „A Train Bound For Glory“ (Clarksville/Rough Trade)

Strandgut

Ob uns ausgerechnet The R.G. Morrison zurückbringen wird, sei dahingestellt: Das Genre, in dem wir uns in dieser Kolumne bewegen, hat naturgemäß nicht so viel mit dem State of the Art populärer Musik zu tun. „Farwell, My Lovely“ wurde im heimischen Wohnzimmer von Herrn Morrison auf einer Farm in Devon aufgenommen, und in Ermangelung eines Schlagzeugs musste es etwa ein alter Koffer als Bassdrum tun. Schon das Cover des Albums schaut aus, als wäre Walker Evans durchs weite Land gesandt worden, um ausgerechnet in England unter Wellblechhütten das wahre Amerika zu finden. Diese Referenz gehört zum literarischen Spiel des Rupert Graeme Morrison: Seine Lieder sammeln allerhand Strandgut aus der bunten Kulturgeschichte auf; das war beim Debütalbum „Learning about Loathing“ so und setzt sich beim Titel des neuen Albums fort, gestiftet von US-Krimiautor Raymond Chandler. Diese Country-Folk-Platte beschwört musikalisch die große Zeit von Crosby, Stills, Nash and Young herauf, auch Ryan-Adams- und Midlake-Hörer dürften sich freuen. Einige doppelte Böden sind darin eingezogen, und die Assoziationsmaschine darf angeworfen werden. „Farewell, My Lovely“ belegt aufs Schönste, dass Folk nicht hinterwäldlerisch sein muss, um trotzdem ganz schön alt zu klingen.

■ The R.G. Morrison: „Farewell, My Lovely“ (Loose Music/Rough Trade)