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Archiv-Artikel

Deutschland AG: Kein Ende in Sicht

Die zehn mächtigsten Aufsichtsräte der deutschen Wirtschaft kontrollieren 22 der 30 größten deutschen Unternehmen. Ihr Altersdurchschnitt liegt bei 66 Jahren. Frauen bleiben genauso Ausnahme wie nichtdeutsche und junge Konzern-Kontrolleure

VON BEATE WILLMS

Die mächtigste Frau in der deutschen Wirtschaft heißt Renate Köcher. Die 54-jährige Leiterin des Meinungsforschungsinstituts Allensbach sitzt in den Aufsichtsräten der vier DAX-Unternehmen Allianz, BASF, Infineon und MAN. Solche Mandate zählen heutzutage beinahe mehr als Vorstandsposten. „Die Macht der Aufsichtsräte hat deutlich zugenommen“, sagt Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Ihr Einfluss beschränke sich nicht mehr auf die Auswahl und Kontrolle der Vorstände. „Sie sind auch in deren strategische Entscheidungen eingebunden.“ Und: Sie sitzen oft in den Gremien mehrerer Unternehmen.

Genau das hat die DSW auf den Plan gerufen. Die Aktionärsvereinigung hat untersucht, wer in den Aufsichtsräten der DAX-Unternehmen mit wem zusammensitzt und dort das Sagen hat. Ergebnis: Die früheren finanziellen Verflechtungen der Konzerne sind weitgehend aufgelöst. Aber personell bestimmt immer noch eine kleine Elite die Geschicke: Die neun einflussreichsten Kapitalvertreter in den Aufsichtsräten sind direkt vom Vorstands- zum Aufsichtsratschef geworden. Die zehn wichtigsten von ihnen kontrollieren 22 der 30 DAX-Unternehmen. Durchschnittsalter: 66 Jahre.

Oberster Strippenzieher ist Manfred Schneider. Der Ex-Vorstandschef des Bayer-Konzerns sitzt nicht nur dessen Aufsichtsrat vor, sondern auch dem der Linde AG. Zudem gehört er den Kontrollgremien von DaimlerChrysler, der Allianz, Metro, RWE und TUI an. Auf Platz zwei folgt Gerhard Cromme. Der Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp kontrolliert auch die DAX-Unternehmen Allianz, Lufthansa, Eon und Siemens. Und er sitzt im Aufsichtsrat der Axel Springer AG, die allerdings nicht im DAX notiert ist.

Noch mehr Ämter hat Ex-Eon-Vorstands- und jetzt -Aufsichtsratschef Ulrich Hartmann angehäuft: Er beaufsichtigt neben der Deutschen Bank, der Lufthansa, Henkel und der Münchner Rück auch Hochtief, die IKB Deutsche Industriebank und sitzt im Verwaltungsrat des Luxemburger Stahlkonzerns Arcelor. Im DSW-Ranking kommt er aber erst nach Schneider und Cromme, weil die Nicht-DAX-Unternehmen nicht zählen und Hartmann in weniger Ausschüssen vertreten ist.

In dieser Konkurrenz reicht es für Renate Köcher nur zu Platz 19. Sie und BMW-Erbin Susanne Klatten, die neben BMW den Chemiekonzern Altana kontrolliert, sind die einzigen Frauen in der Liste. Kaum häufiger: nichtdeutsche Aufsichtsräte. Mit dem Adidas-Aufsichtsratschef, dem Franzosen Henri Filho, dem Schweizer Deutsche-Bank-Vorstandschef sowie Bayer- und Siemens-Aufsichtsrat Josef Ackermann und dem Italiener Giuseppe Vita, der Oberaufseher von Schering ist, sind es gerade mal 3. „Die zunehmend internationale Tätigkeit der Unternehmen spiegelt sich nicht in den Kontrollgremien wider“, sagte Hocker. Der Corporate-Governance-Kodex fordere hier anderes. Als Gründe nannte er „Sprachbarrieren“.

Die DSW-Experten untersuchten ausschließlich Mandate der Kapitalseite. Untersuchungen der Hans Böckler-Stiftung (HBS) zu den Arbeitnehmervertretern zeigen, dass etwa der Frauenanteil dort wesentlich höher ist. „Auch das Problem der Verflechtung stellt sich nicht“, sagte HBS-Mitbestimmungsexperte Roland Köstler der taz. Die betrieblichen Vertreter sitzen nur in ihrem eigenen Aufsichtsrat, bei den Entsandten der Gewerkschaften sind die möglichen Mandate auf drei beschränkt. Die mächtigsten Vertreter dürften Ver.di-Chef Frank Bsirske und IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt sein. In dem DSW-Ranking kämen sie auf Platz 25.