: Queersummenspiele
Im Schach darf der Bauer zur Dame werden, wenn er das achte Feld betritt. Die gleichnamige Ausstellung mit Kunst seit 1960 im Kölner Museum Ludwig erforscht „Das achte Feld“ denn auch als einen Ort des Begehrens und des Geschlechtertausches
VON MAGDALENA KRÖNER
Dem Begehren entkommt man nicht. Man weiß das spätestens, wenn man sich im Kölner Museum Ludwig durch die von Eran Schaerf ins Haus gebauten Pfade und Irrwege gehangelt hat. Wenn man, vorbei an dicht behängten Wänden und Nischen voll Glittervorhängen und drehenden Podesten, den unterschiedlichsten, bizarrsten, unwillkommensten und wohl auch gesellschaftlich unbequemsten Spielarten des Begehrens begegnet ist. No Escape. Also mitten hinein ins Begehren oder dem, was in den letzten fünf Dekaden geschlechtsverwirrter Kunstproduktion als solches entdeckt wurde.
Nun wissen wir längst, dass das, was mit „Begehren“ konnotiert wird, eher weniger mit Biologie und eher mehr mit individuellen Entscheidungen und Wahlverwandtschaften zu tun hat. Diese in der Folge auch zunehmend politische Erkenntnis dämmerte spätestens seit Judith Butler und ihrem „Unbehagen der Geschlechter“, die natürlich auch im textreichen Katalogbuch mit einem eigens verfassten Essay nicht fehlen darf. Dass das Begehren aber vor allem gesellschaftlich in Norm und Abweichung unterteilt wird und Mechanismen der Repression und Ausgrenzung provoziert, die oft zuerst nur auf dem Feld der Kunst verhandelbar sind, macht die Ausstellung mit rund 250 künstlerischen Beiträgen zum Thema vor allem deutlich.
Statt einem Bilderparcours mit allseits durchgewunkenen Namen Raum zu geben, konzentrieren sich die Kuratoren Frank Wagner und Julia Friedrich auf die Spielarten des Sexuellen, die Nuancen der Identität abseits von der Norm und auf deren oft tragische Implikationen. Sie schauen darauf, was die Kunst zum Begehren zu sagen hat – und das ist häufig politisch, gerade in den hier versammelten frühen Beispielen.
Das gibt auch schon die Antwort darauf, was eine solche Ausstellung zu einem scheinbar längst popularisierten, vielleicht auch erledigten Thema leisten kann. Für den Aufreger im Sommerloch hatte bereits das Plakat zur Ausstellung gesorgt, das mit einem Foto von Wolfgang Tillmans von einem, sagen wir mal, männlichen Wurzelchakra Empörung hervorrief. Tillmans hatte unter den Rock eines Mannes fotografiert, der – getreu den Schotten – nichts darunter trug. Nun wurde das Plakatmotiv nicht verwendet, dafür steht, eher ironisch denn anstößig, Hans-Peter Feldmanns rosa David auf dem Vorplatz, der als kitschige Michelangelo-Reverenz ins Haus einlädt. Könnte man nun also vermuten, dass sich auch im Inneren des Hauses zeige, wie sehr doch eigentlich alles in Ordnung sei – gerade in der Unordnung des Geschlechtlichen? Fernsehserien wie „The Queer Eye for the Straight Guy“ oder „The L-World“ scheinen zu suggerieren, dass eine „queere“ Existenz längst gesellschaftlich akzeptiert ist. Doch dass Schwul- und Lesbischsein nach wie vor Ausgrenzung, Einsamkeit, Stigmatisierung und Gewalt bedeuten können, zeigen eindrucksvoll viele der Positionen. Da ist etwa Henrik Olesens Arbeit „Lack of Information“ – Recherchen zur weltweiten Stigmatisierung und Kriminalisierung von bestimmten Formen der Sexualität. David Wojnarowicz’ stille Fotoserie „Rimbaud in New York“ zeigt einen Mann mit der immergleichen Papiermaske mit dem Antlitz Rimbauds an verschiedenen Schauplätzen der Stadt, umgeben von Menschen, im Strudel der Stadt, doch sehr einsam, ausgegrenzt durch seine Form des Begehrens. Marlene McCarthys irritierende Zeichnungen von einer Gruppe junger Mädchen, die eine andere attackiert, fassen wiederum einen sexuell durchsetzten Furor und die Pein pubertärer Selbstbehauptung ins genau gestrichelte, lebensgroße Bild.
Dabei sind es herausragende Stücke – auch aus der hauseigenen, an der Pop-Art orientierten Sammlung –, die mal gemeinsam mit aktuellen Arbeiten, mal in ikonischer Einzelwirkung für kunsthistorische Tiefe oder neue Einsichten sorgen. Da trifft eine Flagge auf Orange von Jasper Johns auf Jonathan Horowitz’ „Three Rainbow American Flags for Jasper in the Style of the Artists Boyfriend“; gegenüber sieht man David Hockneys berühmten „Sunbather“ am Pool, so frisch, als läge er dort nicht schon seit 40 Jahren. Daneben finden sich Francis Bacon, Robert Rauschenberg, aber auch die hier wieder aktuellen „7 Figures“ in Neon von Bruce Nauman. Aus jüngerer Zeit ist eine Installation von Robert Gober zu sehen. Und natürlich auch eine Menge Warhol. Man könnte zwar bemängeln, dass die Beiträge – bis auf die Arbeit Sunil Guptas und ihrem Blick nach Indien – aus dem Westen stammen oder sich auf einen westlichen Kontext von Sexualität beziehen. Doch macht wiederum die Rückbindung an die Sammlung eben diesen Umstand plausibel.
Auch die Garde der berühmten Körperdarsteller fehlt nicht. Was vorhersehbar zu sein scheint, dient hier einer fruchtbaren Revision: von den Transversalien Valie Exports und Jürgen Klaukes aus den 70er-Jahren zu den fotografischen Inszenierungen etwa von Katharina Sieverding und Cindy Sherman bis zu den frühen Computermanipulationen von Inez van Lamsweerde fehlt es in Köln an nichts.
Ein Übergewicht des Fotografischen ist es jedoch, dass, wohl dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung, Vergewisserung und Spiegelung folgend, vor allem das Schwulsein als private Idylle gezeigt wird: immer wieder Porträts und gefällige Akte, etwa von David Armstrong oder Peter Hujar. „Bisschen viel Schwänze“ hörte man am Eröffnungsabend – ein Verweis mit Berechtigung, kommen doch die weiblich/lesbischen Positionen in Köln markant zu kurz.
Ein weiterer umfassender Bereich der Ausstellung widmet sich Transsexualität und Geschlechtertausch und fächert dazu überraschende und teils unbekanntere Ansätze aus künstlerischer, vor allem weiblicher Sicht auf. Künstlerinnen wie Daniela Comani tauschen in ironischer Reminiszenz an gesellschaftliche Normen die Geschlechter. Recherchen im Reich realer Geschlechtsirritation unternehmen Del LaGrace Volcano, Catherine Opie, Annette Frick oder Aurora Reinhard. Daneben finden sich Künstler, die es ihnen – mal mit gehörigem Sicherheitsabstand zum Grotesken, mal furchtlos mittendrin – nachtun. Doch auch Fotoklassiker, die man meint, einmal zu oft gesehen zu haben, kommen hier wieder zu ihrem Recht: Nan Goldins Studien im Milieu der Dragqueens, aber auch Diane Arbus’ frühe Beobachtungen von Männern als Frauen.
Was bis hierhin noch als frivoles Spiel jenseits der Norm angesehen werden konnte, wird im Angesicht von Aids rasch Ernst. Folgerichtig widmet man in Köln einen eigenen Bereich dem Themenkomplex Außenseiter/Diskriminierung/Aids. Hier finden sich die gerade nicht nur in Berlin wiederentdeckten Jungs von General Idea mit ihrer berühmten „AIDS“-Tapete. Da ist aber auch Donald Moffetts stille Arbeit „Mr. Gay in the USA“, eine schnöd-eindringlich gezeichnete, auf Gerichtszeichnungen basierende Kurzgeschichte nach einem wahren Vorfall. Ein Mann mit Nachnamen Gay marschierte in eine Bar in San Francisco, bestellte ein Bier und erschoss dann mehrere Gäste. Vor Gericht versuchte er, auf unschuldig zu plädieren, weil sein Name dazu geführt habe, dass er alle Schwulen hasste. Mr. Gay bekam viermal lebenslänglich.
Auch der Musik, dem klassischen Emotionsverstärker, ist ein Bereich gewidmet. Hier wird das Begehren als Konzept vielleicht am gelungensten ins Bild gefasst von Felix Gonzales-Torres’ „Go-Go Dancing Platform“, die den sexuell aufreizenden Tanz in die heiligen Hallen des Museums holt und ihn dort kurzschließt. Dem Betrachter bleibt nur eine unangenehme Position des Zuschauens ohne Sound, dem Tänzer der stumme Tanz außerhalb seines Kontextes. Diese mittlerweile fünfzehn Jahre alte Arbeit fasst vieles über die Abstraktion des Begehrens mit ein: Es ist abhängig von Kopf und Kontext und fällt rasch in sich zusammen, wenn eins von beiden fehlt oder stummgeschaltet wird. In dieses Vakuum sickert erfolgreich die Kunst ein.
„Das achte Feld“ versammelt einige der schönsten, wichtigsten und nachdenklich stimmendsten Momente dieses Einsickerns. Im Aufzeigen der Leerstellen, der Momente des Kollapses, wenn sich das Begehren am Raster des gesellschaftlich Akzeptierten bricht, aufreibt oder entzündet, liegt die Kraft dieser Ausstellung. Doch bei allem Facettenreichtum, in das diese sorgsam recherchierte Schau aufgeteilt ist, fehlt doch eine wesentliche Ingredienz – die Pornografie, die so latent im Unterhautgewebe vieler Werke steckt. Als Bild- und Wunschmaschine durchdringt sie längst wirkungsvoll die Felder der Hochkultur und böte gerade in ihren politischen Unkorrektheiten jede Menge Material, zumal als Ideengeber der Kunst. Das Pornografische in seiner zersetzenden oder auch affirmativen Kraft – wenn etwa eine Darstellerin wie Pamela Anderson mit ihrem entlang dem Porno modellierten Körper plötzlich Protagonistin einer als Kunst verkauften Fotoserie wird – wird ausgeblendet. Eine verwunderliche Blindstelle, die man lieber beleuchtet gesehen hätte, als die Inszenierung einigermaßen fraglicher Schauwerte im Kapitel „Cruising – Orte des Begehrens.“
Ausstellung bis 12. November, Katalog Hatje Cantz, 39,80 €