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Archiv-Artikel

Grande Dame in Rot-Gelb

Liselotte Funcke war überall die erste: Sie war die erste NRW-Wirtschaftsministerin und Pionierin einer Integrationspolitik. Gastarbeiter erkoren die unnahbare Westfälin zur „Mutter der Türken“. Heute erforscht die Liberale ihre Hagener Heimat

AUS HAGENNATALIE WIESMANN

Die härteste Zeit ihres Lebens war die Zeit als Wirtschaftsministerin. „Ich habe damals nie länger als fünf Stunden geschlafen“, sagt Liselotte Funcke. Die 88-Jährige sitzt im beige melierten Rock und mit grob gemusterter Blumenbluse auf einem Gartenstuhl hinter ihrem Haus in der Hagener Innenstadt. Um den Hals trägt sie eine Perlenkette, an den Fingern goldene Ringe. Zu den Schokokeksen, die in der Sonne schmelzen, reicht sie Servietten. Sie ist die Grande Dame der nordrhein-westfälischen FDP. Was die Christdemokraten nicht davon abhielt, ihr mit dem Fegefeuer zu drohen, als sie sich nach dem Krieg gegen die Wiedereinführung von Konfessionsschulen aussprach.

Ihr anstrengendes Amt als Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr hatte sie nur kurze Zeit inne: von 1979 bis 1980. Der damalige SPD-Ministerpräsident Johannes Rau holte die studierte Betriebswirtin mitten in der rot-gelben Wahlperiode nach Düsseldorf. Ihr Vorgänger war erkrankt. Für diesen Posten gab Funcke ihr Amt als Vizepräsidentin des Bundestages und Vorsitzende des Finanzausschusses auf.

Hat sie damals aus Sorge kaum geschlafen? „Wie bitte? Ich höre nicht mehr so gut.“ Immer wieder entschuldigt sich Funcke für ihre Schwerhörigkeit. Ob sie die Sorge um den Schlaf gebracht habe? „Nein, nein, ich hatte so viel zu tun“, sagt sie. Ihr Gesicht, das durch die strengen Falten und die starken Augenbrauen oft leicht grimmig wirkt, entspannt sich.

Mit der Wirtschaft in NRW ging es in ihrer Amtszeit stetig bergab, die goldenen Zeiten des Bergbaus waren längst vorbei. „Der Kohleabbau musste heruntergefahren werden“, so Funcke. Herunterfahren durfte auch sie, in den Schacht, obwohl der prinzipiell Frauen verwehrt war. „Ich war ja oberste Bergherrin“, sagt sie mit einer Mischung aus Stolz und Selbstironie in der Stimme.

Die „ständigen Querelen“ mit dem Koalitionspartner waren ein Grund dafür, dass die FDP 1980 mit Liselotte Funcke als Spitzenkandidatin wegen fehlender 1.400 Stimmen aus dem Landtag ausschied, erzählt sie. Den größten Gegenwind erfuhr die Hagenerin in ihrer kurzen Amtszeit aber von den Grünen, die Anfang der 80er Jahre zur politischen Macht aufstiegen. „Die haben gegen den Bau jeder neuen Straße protestiert“, sagt die Liberale und lacht. Dann wird sie wieder ernst. „Ich muss zugeben: Sie hatten oft recht.“ Heute setzt sich Funcke als Ehrenvorsitzende des Kinderschutzbundes Hagen für mehr autofreie Räume ein.

Der Weg in die Politik lag bei ihr näher als bei anderen Frauen ihrer Generation. Ihr Vater, der Hagener Schraubenfabrikant Oscar Funcke, war bereits in der Weimarer Republik im Stadtrat für die Deutsche Volkspartei aktiv und wurde nach dem Krieg für die FDP in den ersten deutschen Bundestag gewählt. Seine 1918 geborene Tochter Liselotte hat er ermutigt, auch eine politische Karriere einzuschlagen. Mit Erfolg. Ab 1947 war sie im Landesvorstand der FDP, 1950 wurde sie in den Landtag gewählt. 1961 wechselte sie in den Bundestag und war von 1977 bis 1983 stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei.

Als Funcke in den Bundestag gewählt wurde, lag der Frauenanteil bei 8,3 Prozent. Funcke erinnert sich gut, wie es in konservativen Kreisen noch bis in die 60er Jahre hinein als „anstößig“ empfunden wurde, dass sich Frauen auf Wahlplakaten abbilden ließen und sich „zur Schau stellten“. Aus diesem Grund gehörte der Kampf um Gleichberechtigung für jede weibliche Abgeordnete automatisch dazu, über Parteigrenzen hinweg. „Wir waren uns einig, dass Hausfrauen eine eigene Rente erhalten müssen.“ Die weiblichen Abgeordneten setzten auch gemeinsam die Streichung des „Fräuleins“ aus dem Behördendeutsch durch.

Diese Anrede betraf Funcke selbst, denn sie blieb unverheiratet und kinderlos. „Mein Verlobter kam nicht aus dem Krieg zurück.“ Nüchtern fügt sie hinzu: „Als Frau Ende Zwanzig war ich für den Heiratsmarkt schon alt.“ Doch selbst wenn sie Kinder bekommen hätte – zu Hause geblieben wäre sie nicht. „Es hätte mich dann wohl eher in den Stadtrat als in die Bundespolitik getrieben.“

Funcke streicht ihre rot-gelbe Blumenbluse glatt. Rot-Gelb ist eine Farbkonstellation, in der sich die Ex-Politikerin immer wohl gefühlt hat. Nachdem sie als NRW-Ministerin ausgeschieden war, bat sie 1981 Helmut Schmidt, ebenfalls Regierungschef einer sozialliberalen Koalition, das Amt der Ausländerbeauftragten zu übernehmen. Funcke sagte sofort zu – nicht ahnend, dass auch diese Koalition bald zu Ende sein sollte. Aus Protest gegen die „Bonner Wende“ legte sie das Amt 1982 nieder, nahm es im November desselben Jahres auf Bitten des neu gewählten Bundeskanzlers Helmut Kohl aber wieder auf.

In dieser Rolle gewann Funcke am meisten Profil. Von den Gastarbeitern wurde sie zur „Mutter der Türken“ ernannt, eine ziemlich warmherzige Bezeichnung für eine, die sich als typische Westfälin beschreibt: „hart, schwerfällig und unnahbar“.

Funcke sah sich als Sprachrohr der MigrantInnen und legte sich dafür mit Politikern wie CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann und CSU-Hardliner Peter Gauweiler an. Immerhin zehn Jahre hielt sie in diesem Ehrenamt durch und trat dann aus Protest 1991 endgültig zurück. Es mangele ihr an Unterstützung von der Bundesregierung und den Parteien, schrieb sie in einem offenen Brief an Helmut Kohl. Ihr Amt sei ungenügend ausgestattet. Bei internationalen Kongressen befände sie sich außerdem in der schwierigen Lage, die deutsche Seite zu vertreten, „ohne Konzepte zur Integration zu kennen“.

Ein Konzept zu machen, hätte bedeutet, sagt Funcke rückblickend, „dass man die Einwanderung anerkannt hätte“. Aber davor hätten sowohl SPD- als auch CDU-geführte Regierungen lange zurück geschreckt. „Die Politiker hatten Angst vor der Bevölkerung, die wiederum Angst vor zu viel Zuwanderung hatte.“ Das hätte sich ja auch später wieder bei der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft gezeigt, fährt sie fort. „Die Politiker gehen nicht so vor, wie es die Vernunft erfordert.“ Vor ihrer Demission hatte sich Funcke fünf Monate lang vergeblich um einen persönlichen Termin bei Kanzler Kohl bemüht. Sie sei aber damals nicht aus gekränkter Eitelkeit zurückgetreten, stellt sie heute klar. „Ich wollte damit aufrütteln.“

Obwohl ihr der Rücktritt viel Respekt einbrachte, musste Funcke lange warten, bis ihr früheres Amt aufgewertet wurde. Erst heute, 15 Jahre später, ist die Integrationsbeauftragte des Bundes direkt der Kanzlerin unterstellt und wird als Staatsministerin für ihre Arbeit bezahlt. Und in Funckes Bundesland gibt es den ersten Integrationsminister. Was sie von Armin Laschet hält? „Ich glaube, dass es ihm durchaus ernst ist“, sagt sie. Dennoch habe sie mit Verwunderung verfolgt, wie er Dinge, die sie früher vorschlug, auf dem Integrationsgipfel im Juli als neue Ideen verkaufte. Etwa die Einrichtung von Ganztagsschulen zur Förderung von Migrantenkindern.

Auch nach ihrer Amtszeit hielt sie den Kontakt zu den Einwanderern. Erst vor zwei Jahren fungierte sie wieder einmal als Sprachrohr. In einem Brief bat sie die Vize-Landesvorsitzende ihrer Partei, Angela Freimuth, darum, sich gegen ein Kopftuchverbot einzusetzen. „Ein Verbot könnte eher integrationshemmend als -förderlich sein und das Gefühl der Ausgrenzung in der muslimischen Bevölkerung verstärken.“ Also immer noch ganz die Mutter der Türken.

Die Verbundenheit vieler Migranten zur alten Heimat kann sie nachvollziehen. Trotz ihres Studiums in Berlin und ihrer Arbeit in Düsseldorf und Bonn zog es sie immer wieder und nun endgültig nach Hagen. In den vergangenen Jahren hat sie viel Heimatkunde betrieben und ihre Erkenntnisse zu Papier gebracht. In einem Buch geht sie den Ursprüngen von 230 Straßennamen in Hagen nach. Im neuesten Werk „Tuche, Sensen, Federn, Stahl“ erzählt sie die Geschichte der Hagener Industriebetriebe. Und Funcke kann das Arbeiten nicht sein lassen: „Ich schreibe schon wieder an einem neuen Heimatbuch.“