BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Es führt kein Weg zurück

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das Café Bleibtreu gehört der Jugend. Manchmal ist es besser, nicht an solche Orte zurückzukehren

Es gibt Orte, die gehören der Jugend. Nicht weil sie selbst jugendlich wirken, sondern weil sie das, was das Erwachsen sein ausmacht, nachahmen, ohne es zu erreichen. Die Tanzschule, in der die gesellschaftlichen Riten geübt werden, ist so ein Ort. Ein weiterer Ort, an dem die Disparität auffällt, zwischen dem, was geübt wird, und dem was ist: das Café Bleibtreu in Berlin-Charlottenburg.

Es liegt nicht weit vom eleganten Savignyplatz, die S-Bahn und Luxuskarossen rumpeln vorbei, alles sieht aus, wie man es sich in einer Großstadt vorstellt. Ausgereifte Charlottenburger Bonvivants aber findet man woanders. Vielmehr sitzen im Bleibtreu die Anfänger in Sachen Kaffeehauskultur. Junge Menschen, die ihren ersten Spiegel lesen, sich mit ihren Kommilitonen über Vorlesungen unterhalten oder über die letzte WG-Party. Sie sind noch blind für die leichte Schäbigkeit des Lokals – oder aber auch unverdorben. Hier imitieren sie das, was sie ringsum in Berlin sehen: Man geht aus. Die leicht angekitschten Filmplakate, die erdrückend orangefarbenen Wände, die zerfledderten Speisekarten, nein, schön ist das Café Bleibtreu nicht. Aber das alles macht einem nichts aus, wenn man ein kleines Budget hat.

Auf den Kunstrasen vor dem Café quetscht die Kneipenleitung so viele Tische, dass das Ohr am Nachbartisch hängt, ob man den fremden Erzählungen zuhören möchte oder nicht. Wenig erwehren kann man sich auch der schlechten Musikanten. Seit wann gibt es so viele Akkordeonspieler in der Stadt? Und warum spielen alle nur die gleichen drei Lieder?

Auch die Speisen im Café Bleibtreu lassen einiges zu wünschen übrig. Die Preise sind zwar niedriger, als man es von einem Café in guter Lage erwartet. Dafür wird kräftig an der Qualität gespart. Das Alsterwasser schmeckt nach Restbier, den Rucolasalat mit Putenbrust muss man nach mediterraner Art selbst anmachen. Das Schweinefilet für sieben Euro ist genauso ungenießbar wie die dazu gereichten Pfifferlinge. Kamen die getrocknet aus der Packung und lagen zu lange im Wasser?

Es bewahrheitet sich mal wieder: Wer billig essen geht, der isst meist auch billig. Selbst die Pommes frites schmecken nicht, und das ist schon ein Kunststück.

Insgesamt hinterlässt das Café Bleibtreu einen traurigen Eindruck, vor allem bei denen, die sich an vergangene Zeiten erinnern möchten. Nicht alles, was einem früher gefiel, hält heutiger Betrachtung stand. Manchmal ist es besser, nicht an die Orte der Jugend zurückzukehren.

CAFÉ BLEIBTREU, Bleibtreustr. 45, 10623 Berlin-Charlottenburg, Tel. (0 30) 8 81 47 56, S Savignyplatz, Cola 1,50 €, alkoholfreies Bier 2 €, Salate ab 3,80 €, Vorspeisen und Hauptgerichte ab 4 €