: Die Fehlbarkeit des Menschen
NEKROSPEKTIVE Das Babylon Mitte erinnert mit einer Filmreihe an den verstorbenen Philip Seymour Hoffman, der auch in seinen großen Rollen immer ein Stück Normalität verkörperte
VON ANDREAS BUSCHE
Viel ist anlässlich des Todes von Philip Seymour Hoffman über den verhängnisvollen Kreislauf der Drogensucht geschrieben worden. In die Trauer über den Verlust eines der beliebtesten amerikanischen Schauspielers der Gegenwart mischte sich Erschütterung, dass Hoffman nach 23 Jahren einen Rückfall hatte. Im Time Magazin war wenige Tage nach Hoffmans Tod ein empathischer Kommentar des Drehbuchautors Aaron Sorkin zu lesen, der mit einigen Missverständnissen über das Thema Drogensucht aufräumte.
Etwa, dass Süchtige an einer „Überdosis“ Heroin sterben; als gäbe es so etwas wie homöopathische Dosen für Drogen. Und dass ein Süchtiger immer ein Süchtiger bleibt: Der Kampf wird auch nach 23 Jahren jeden Tag aufs Neue geführt.
Die große Anteilnahme am Tod von Philip Seymour Hoffman liegt nicht nur darin, dass er in seinen Rollen immer ein Stück Normalität verkörperte – selbst wenn er scheinbar überlebensgroße Figuren wie den Kultführer Lancaster Dodd in Paul Thomas Andersons „The Master“ oder Truman Capote in Bennett Millers gleichnamigem Biopic darstellte. Hoffmann zeigte in seinen Rollen eine Demut gegenüber der Menschlichkeit seiner Figuren. Darum ging die Nachricht seines Todes auch vielen nahe, die sich sonst kaum für Arthouse-Kino interessieren.
Hoffmans Tod macht auf schmerzliche Weise die Fehlbarkeit des Menschen bewusst. Was Fans und Kritiker am Schauspieler Hoffman stets wertschätzten – seine Sensibilität für schwache, verletzliche Figuren, oftmals volatile Borderliner mit erhöhtem Frustpotenzial –, war auch in der Persönlichkeitsstruktur des Menschen Hoffman angelegt. Er fiel keinen inneren Dämonen zum Opfer, sondern seinen Schwächen und Lebensängsten.
Die durchaus konsistente Rollenwahl Hoffmans und sein Interesse an komplexen, gebrochenen Figuren verraten einiges über seine künstlerischen Ambitionen und sein Selbstverständnis als Schauspieler.
Das Babylon Mitte hat eine kleine Retrospektive zusammengestellt, die natürlich nur bruchstückhaft ausfallen kann. Es finden sich jedoch Filme darunter, die dazu einladen, ernsthaft über eine Autorentheorie des Schauspielers Philip Seymour Hoffman nachzudenken. Leider fehlt mit Charlie Kaufmans „Synecdoche, New York“ ein Schlüsselwerk, in dem Hoffman als depressiver Theaterregisseur sein Leben und seine Arbeit in immer epischeren Bühnenkonstruktionen zu einer Escher-artigen Traumwelt verschränkt.
Mit gleich zwei Anderson-Filmen wird die beständigste Partnerschaft in Hoffmans viel zu kurzer Karriere gewürdigt, wobei er in „Punch-Drunk Love“ nur eine kleine Rolle als schmieriger Trickbetrüger hat, jedoch eine interessante Gegenposition zur Borderline-Persona von Adam Sandlers Hauptfigur einnimmt. „The Master“ gehört neben „Capote“, für den er 2006 den Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller bekam, zu den Meilensteinen in Hoffmans Karriere. Lancaster Dodd ist eine Paraderolle, die viele Charakteristika früherer Rollen in einer Figur verbindet: Charisma mit hochgradig neurotischen Zügen, eine Kindlichkeit mit Anflügen von unkontrollierbarem Jähzorn sowie die feine Balance von Dominanz und Unterwürfigkeit, Narzissmus und Uneitelkeit im Spiel.
Eher dem Hoffman-Klischee des amerikanischen Losers, einem modernen Willy Loman, entspricht dagegen seine Rolle in Sidney Lumets filmischem Vermächtnis „Tödliche Entscheidung“, in dem er seine Familie durch eine tragische Verkettung falscher Handlungen ins Verderben reißt. Durch seine Rollen wird Hoffman als eigenwilliger Künstler in Erinnerung bleiben, der seinen Kindern noch in seinem Testament eine räumliche Distanz zu Hollywood als letzten Willen hinterließ. Vergessen werden darf er aber auch nicht als das, wofür Philip Seymour Hoffman in seiner Arbeit immer rang: als Mensch, mit allen seinen Fehlern.
■ Philip Seymour Hoffman: Babylon Mitte, ab 27. 2., Programm: www.babylonberlin.de