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Archiv-Artikel

Den Dresdnern ist ihr Weltkulturerbe egal

Elbebrücke bauen oder Kulturerbe erhalten? Vor der finalen Stadtratssitzung in Dresden ist kein Ausweg sichtbar

DRESDEN taz ■ Unüberbrückbar erscheinen die Fronten im Dresdner Brückenstreit, wenn heute der Stadtrat die letzte Chance eines Kompromisses suchen will. Das Regierungspräsidium Dresden hat angekündigt, die Leistungen für den Bau ersatzhalber zu vergeben, wenn der Stadtrat dies nicht tut. Dies aber hätte postwendend den Verlust des Weltkulturerbe-Status für das Dresdner Elbtal zur Folge. Das Unesco-Welterbekomitee hatte es für unvereinbar mit dem Ehrentitel erklärt, wenn Dresden die Waldschlösschenbrücke im Elbtal errichtet.

Der Stadtrat hatte bereits auf zwei Sondersitzungen versucht, den Baubeginn zu verschieben – und so Zeit für einen Kompromiss zu finden. Dieser könnte in einem Tunnel, einer anderen als dieser Großbrücke oder einem anderen Standort bestehen.

Doch die beiden amtierenden Ersatz-Oberbürgermeister – der gewählte Ingolf Roßberg (FDP) steht derzeit vor Gericht – legten jeweils ihr Veto ein. Der Stadtratsbeschluss verstoße gegen den Willen der Bürger, die 2005 in einem Plebiszit mit zwei Dritteln für den Brückenbau gestimmt hatten. CDU und FDP setzen weiterhin auf Konfrontation mit der Unesco – sie verlangen einen sofortigen Baubeginn. Das bringt die CDU in eine Zerreißprobe. Der aus Dresden stammende und an sich konservative Nobelpreisträger Günter Blobel sprach daraufhin von „Provinzpotentaten“, die dem Ruf der Stadt schadeten. Ingo Zimmermann, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, erwägt seinen Austritt aus der CDU.

Angesichts der Eskalation bleiben vor der heutigen Stadtratssitzung nur zwei Optionen. Der Rat könnte einen neuen Bürgerentscheid beschließen – allerdings nur mit unwahrscheinlicher Zweidrittelmehrheit. Oder aber der Streit wird durch die Juristerei entschieden. Deren Auffassungen gehen freilich weit auseinander.

Die Linkspartei hat inzwischen den Bundestag zum Eingreifen aufgefordert. Dessen Kulturausschuss wird sich im September mit dem Eklat befassen. Staatssekretärin Karin Roth (SPD) vom Bundesbauministerium rät Dresden zum Einlenken. Eine der widersprüchlichen Bevölkerungsumfragen demontiert indessen den Nimbus vom besonders kulturvollen und ästhetisch sensiblen Dresdner gründlich. Nach Angaben des Professors für Kommunikationswissenschaften Wolfgang Donsbach (TU Dresden) ist 80 Prozent der Dresdner der Titel des Weltkulturerbes vollkommen gleichgültig. MICHAEL BARTSCH