Amnesty klagt an

VON Georg Baltissen

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international wirft Israel vor, während des Libanonfeldzuges mit Absicht zivile Ziele angegriffen und zerstört zu haben. Dies sei Teil der militärischen Strategie der israelischen Streitkräfte gewesen, heißt es in einem Bericht, den die Organisation gestern vorlegte. Damit hätten Verantwortliche der israelischen Politik und Armee aller Wahrscheinlichkeit nach Kriegsverbrechen begangen. Amnesty fordert den UN-Sicherheitsrat auf, unverzüglich eine unabhängige internationale Untersuchung über mögliche Völkerrechtsverletzungen vonseiten Israels wie der Hisbollah einzuleiten.

Bei mehr als 7.000 Luftangriffen und 2.500 Beschießungen von See seien im Libanon rund 1.200 Menschen getötet, 4.000 verletzt und eine knappe Million in die Flucht getrieben worden. Insgesamt seien mehr als 30.000 Wohnungen, Häuser, Büros und Geschäfte zerstört worden. Die Bombardierung von Brücken, Straßen, Kraftwerken, Kläranlagen, Leitungen, Tankstellen, Molkereien, Krankenhäusern, Schulen und Moscheen sei überdies ein klarer Beleg dafür, dass die israelischen Angriffe zum Ziel hatten, die Regierung und die Zivilbevölkerung im Libanon zu bestrafen und dazu zu drängen, sich gegen die Hisbollah zu wenden. Dies könne aber kein legitimes Kriegsziel sein.

Nach Ansicht von amnesty belegen die Erklärungen hochrangiger israelischer Militärs, dass zivile Einrichtungen vorsätzlich unter Beschuss genommen wurden. So habe Generalstabschef Dan Halutz am 24. Juli den Befehl erteilt, für jeden Katjuschaangriff auf Haifa zehn Gebäude in der Hauptstadt Beirut in Schutt und Asche zu legen. Amnesty beruft sich dabei auf ein Briefing der israelischen Armee, von dem auch die Jerusalem Post berichtete. In einem Interview habe Halutz die Hisbollah überdies als „Krebsgeschwür“ bezeichnet, von dem sich der Libanon befreien müsse, oder „das Land wird einen sehr hohen Preis bezahlen“.

Die israelische Rechtfertigung, wonach die Zerstörungen und die Zahl der Opfer vor allem darauf zurückzuführen seien, dass die Hisbollah die Zivilbevölkerung „als menschliches Schutzschild“ benutzt habe, klinge für amnesty „hohl“. Sowohl Art und Ausmaß der Angriffe, die hohe Zahl getöteter Zivilisten als auch die enormen Zerstörungen könnten damit nicht erklärt werden. Es habe sich eben nicht um „Kollateralschäden“, sondern um die Umsetzung einer „geplanten militärischen Strategie“ gehandelt. Diese Art von Kriegsführung stelle aber ein Kriegsverbrechen dar.

In vielen Fällen seien einzelne Häuser gezielt mit Präzisionswaffen zum Einsturz gebracht worden. Im Südlibanon seien auf diese Weise alle Supermärkte in den Städten und Dörfern zerstört worden. Die Luftwaffe habe auch immer wieder gezielt Flüchtlingskonvois angegriffen, nachdem man zuvor die Einwohner im Süden noch per Flugblatt zur Flucht aufgefordert habe. Eine Versorgung der Bevölkerung im Südlibanon durch Hilfskonvois sei durch die fortgesetzten Angriffe von Artillerie und Luftwaffe praktisch unmöglich gemacht worden. „Jedes Fahrzeug, das sich südlich des Litani bewegt, steht unter dem Verdacht, Raketen, militärisches Gerät oder Terroristen zu transportieren, und wird bombardiert“, zitiert die Organisation aus einem Flugblatt mit der Unterschrift „Der Staat Israel, 7. August 2006“.

Amnesty beklagt abschließend, dass Israel zwar einige Vorwürfe untersuche, Ergebnisse aber nicht vorlege. Den libanesischen Behörden wirft die Organisation vor, mögliche Kriegsverbrechen der Hisbollah gar nicht zu untersuchen.

Israel hat die Vorwürfe der Menschenrechtsorganisation gestern zurückgewiesen. Das israelische Militär sei „so chirurgisch wie nur möglich“ vorgegangen, um die „Militärmaschinerie der Hisbollah“ zu treffen, erklärte Außenamtssprecher Mark Regev.