: „Raum fürs Experimentelle“
KULTURPOLITIK Die Museen besinnen sich auf solide Retrospektiven, sagt Bettina Steinbrügge, neue Chefin des Hamburger Kunstvereins. Für Häuser wie ihr eigenes sei das eine Chance
■ 43, Kunstwissenschaftlerin, leitet seit Januar den Kunstverein Hamburg. Sie war unter anderem künstlerische Leiterin der Halle für Kunst Lüneburg und sitzt im Kuratorium der Berlinale. Foto: Kunstverein
taz: Frau Steinbrügge, ist das gutbürgerlich klingende Genre „Kunstverein“ nicht überholt?
Bettina Steinbrügge: In der Tat möchten heute viele keinem Verein mehr beitreten. Besonders Jugendliche binden sich da ungern. Ich glaube aber, dass Kunstvereine aktueller sind denn je.
Warum?
Es hieß in den letzten Jahren oft, dass zeitgenössische Kunst an die Museen abwandere, sodass die Kunstvereine überflüssig würden. Ich habe in den letzten drei Jahren in einem Museum gearbeitet und glaube, dass das so nicht stimmt. Die Museen haben nämlich inzwischen festgestellt, dass sie mit experimenteller Kunst ihre Besucherzahlen nicht erreichen. Ausstellungen junger Kunst sind also höchstens kleine Annexe am Programm.
Sind junge Künstler und Museen kompatibel?
Schwierig. Die Probleme beginnen oft schon beim Aufbau, weil Museen das Experimentelle, das ein junger Künstler mitbringt, aufgrund konservatorischer Maßgaben nicht leisten können.
Die Museen kehren also zum „konservativen Kerngeschäft“ zurück?
Bei der Durchsicht aktueller europäischer Museumsprogramme habe ich den Eindruck, dass sich die meisten wieder auf ein konservativeres Programm zurückziehen. Für die Kunstvereine ist das eine Chance, denn sie können den Raum für dieses Experimentelle bieten.
Bedeutet dieser neue Konservatismus auch, dass die Museen nun den hohen Anteil älterer Besucher akzeptieren, statt um die Jugend zu buhlen?
So einfach kann man es nicht sagen. Ich glaube aber schon, dass sich die Museen fragen: Wie können wir unsere Besucherzahlen halten? Und wollen wir mit diesem Jugendkult weitermachen – oder schauen wir, dass wir gute Übersichtsausstellungen bieten?
Und der Kunstverein ruft nun voller Selbstbewusstsein: „Junge Kunst gibt’s jetzt wieder exklusiv bei zu uns“?
Abgrenzung von anderen Institutionen halte ich für keinen guten Weg. Ich werde aber schon die spezifische Flexibilität des Kunstvereins nutzen, um Meinungsmacher zusammenzubringen. Das können Kuratoren, Künstler und Galeristen sein, mit denen ich schon lange darüber diskutiere, wie das Kunstfeld heute aussieht und wo wir uns Veränderungen wünschen.
Und was wollen Sie besser machen als Ihr Vorgänger Florian Waldvogel?
Ich glaube, es geht nicht ums Bessermachen, sondern zunächst um eine Analyse. Kunst hat derzeit einem großen Hipness-Faktor, und das hat mit dem Diskurs über Kreativwirtschaft zu tun. Ich glaube, dass wir da an einem Scheideweg sind und fragen müssen: Welche Institutionen haben welche Aufgabe, wie gehen Künstler mit dieser neuen Kunstwelt um – und wie stark lassen wir den Markt werden?
Ihr Vorgänger hat dem Kommerz insofern eine Plattform geboten, als er große Galerien Ausstellungen präsentieren ließ. Machen Sie das auch?
Nein. Ich arbeite gern mit Galerien zusammen, glaube aber, dass man als Kunstverein eine gewisse Autonomie wahren muss.
Während Ihres Studiums haben Sie unter anderem beim Kasseler „Dokumentarfilm- und Videofest“ gearbeitet, wissenschaftlich beschäftigten Sie sich mit der Schnittmenge von Kunst und Film. Wird der Kunstverein jetzt zum Kino?
Nein, aber ein paar mehr Filme wird es schon geben. Das interessiert mich, weil es derzeit eine Öffnung des Felds gibt: Filmemacher gehen verstärkt in die Kunst hinein und haben einen anderen Blick darauf. 2015 werde ich zum Beispiel den US-amerikanischen Filmemacher James Benning zeigen. Er filmt nicht nur, sondern malt auch Werke kalifornischer Indigenes-Künstler nach.INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
■ Geoffrey Farmer, Bernhard Cella: 1. März bis 25. Mai, Kunstverein