: Terror im Monat des Korans
MOGADISCHU Nichts ist so wie sonst, sagen Bewohner, die sich jetzt in ihren Häusern verschanzen. 23.000 sind schon geflohen
■ Das Land: Somalia feiert in diesem Jahr den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Zwanzig davon hat das Land am Horn von Afrika ohne eine effektive Regierung verbracht. Seit der autoritäre Präsident Siad Barre im Januar 1991 geflohen ist, kämpfen Clanmilizen, Privatarmeen und seit einigen Jahren zunehmen islamistische Gruppen um die Macht im Land. Mehrere Millionen Somalis sind seitdem aus ihrem Heimatland geflohen.
■ Die Hauptstadt: Die 2004 unter internationaler Vermittlung eingesetzte Übergangsregierung kontrolliert derzeit nur einen kleinen Teil von Mogadischu. Im Süden regieren vor allem Islamisten, im nördlichen Puntland Piraten. Der selbsterklärte Staat Somaliland im äußersten Norden Somalias ist vergleichsweise stabil, international aber nicht anerkannt.
AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT
Zum Eid al-Fitr, dem Fest des Fastenbrechens, holt Dahaba Achmed Ali normalerweise seine beste Kleidung aus dem Schrank. Einen Monat haben Achmed und seine Familie gefastet. Das Ende des Fastenmonats Ramadan ist für die Achmeds wie für alle in Somalias Hauptstadt Mogadischu: ein herausragendes Ereignis. „Meine Kinder können die Feierlichkeiten kaum erwarten“, schwärmt Achmed. Der Tag ist fest verplant: Am Morgen besucht die Familie gemeinsam die Moschee, danach den Friedhof, um dort der toten Verwandten und Bekannten zu gedenken. Den Rest des Tages wird gefeiert: Man besucht die weit verzweigte Familie, macht sich und auch Bedürftigen Geschenke und nascht an allen Herrlichkeiten, die man sich in den vergangenen Tagen versagt hat. So jedenfalls war es sonst. Diesmal aber wird das Fest, eines der wichtigsten im Islam, von den schwersten Kämpfen überschattet, die Mogadischu seit langem erlebt hat. Manche sagen, es sind die schlimmsten in der Geschichte der Stadt, die seit fast zwanzig Jahren keinen Frieden kennt.
„Dieses Fest wird ganz anders sein als die bisherigen“, glaubt Achmed. Trauer schwingt in seiner Stimme mit. Ihr Haus hat die Familie verlassen, weil es zerbombt wurde. „Wir haben dieses Jahr nichts Festliches zum Anziehen“, erklärt Achmed. „Und wir können nicht zum Markt, um Süßigkeiten zu kaufen, weil dort ständig gekämpft wird.“ Seit mehr als zwei Wochen ist vor allem der größte Umschlagplatz des Landes, der Bakara-Markt im Zentrum von Mogadischu, Schauplatz von Gefechten zwischen islamistischen Milizen und den Truppen, die die international anerkannte Übergangsregierung Somalias schützen. Zu ihnen zählt die gut 7.000 Mann zählende Militärmission der Afrikanischen Union (Amisom), denen Händler vorwerfen, den Markt immer wieder ohne Rücksicht auf zivile Verluste mit schwerer Artillerie zu beschießen. „Wir haben Süßigkeiten für das Eid al-Fitr vorbereitet, die Halwa ist fertig und die Kekse sind gebacken“, berichtet der Zuckerbäcker Abdullahi Mohammed Abdullahi. „Aber es kommen kaum Kunden, weil es zu gefährlich ist – früher wäre ich wahrscheinlich schon ausverkauft.“ Die wiederholten Angriffe auf den Markt begründet Amisom damit, dass die islamistische Shabaab-Miliz sich bewusst zwischen den Marktständen versteckt hält. Zwischen Naschwerk und Gold sollen sich riesige Waffenverstecke der Islamisten befinden. Dazu kommt der größte Waffenmarkt Afrikas, der schon seit Jahren Teil des Bakara-Markts ist.
Nach einigen Tagen Kampfpause wird seit der Nacht zum Dienstag wieder geschossen. Augenzeugen berichten von Artilleriefeuer auf Wohngebiete im Süden der Stadt, das die ganze Nacht über anhält. In den Straßen verwesen Leichen, Ärzte kommen mit der Behandlung von Dutzenden Verletzten nicht nach. Oft müssen selbst Schwerverletzte in langen Schlangen vor dem Medina-Hospital warten, um notdürftig behandelt zu werden. Dass Wartende an ihren Verletzungen sterben, ist nichts Ungewöhnliches.
Shabaab-Milizen im heiligen Krieg
Zwei Wochen ist es her, dass die Shabaab-Miliz einen heiligen Krieg gegen die international anerkannte Übergangsregierung angekündigt hat. Man werde kämpfen bis zum Ende, kündigte ein Sprecher an. Einen Tag später, am 24. August, sprengte sich ein als Regierungssoldat verkleideter Selbstmordattentäter im Foyer eines Hotels in der Luft, das bis dahin als sicher galt. Auch deshalb befanden sich unter den 31 Toten auch mehrere Abgeordnete des Übergangsparlaments. Der Anschlag war der Auftakt der Gefechte, bei denen nach UN-Schätzungen bislang mehr als 230 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 400 verletzt worden sind. 23.000 Bewohner sind alleine in den vergangenen zwei Wochen aus Mogadischu geflohen. Das wird immer schwieriger: Nicht wenige müssen alles versetzen, was sie haben, um eine der wenigen Busfahrkarten zu bekommen.
Eine derjenigen, die es geschafft hat, ist Aisho Warsame, Mutter von vier und Großmutter von sechs Kindern. Ihr Schicksal hat die UNHCR-Mitarbeiterin Roberta Russo im Flüchtlingslager von Galkayo, gut 700 Kilometer von Mogadischu entfernt, aufgezeichnet. „Wer heute noch in Mogadischu lebt, der macht sich nichts aus dem Leben“, sagt sie. „Denn Leben, das gibt es nicht in der Stadt.“ Das Haus der 62-Jährigen wurde von Granaten zerstört, wochenlang schlief die Familie in den Trümmern unter freiem Himmel. Ihr Mann wurde erschossen, als er mit seinem Handkarren in den Straßen Mogadischus unterwegs war, um Trümmer aufzusammeln, die woanders als Baumaterial verwendet werden. Ausnahmslos alle Gebäude in Mogadischu sind von Granateinschlägen und Maschinengewehrfeuer zernarbt. „Überall liegen die Toten, viele können es sich nicht mehr leisten, selbst enge Angehörige zu begraben“, weiß Warsame. „Die Straßen sind meistens vollkommen menschenleer, es gehen nur die vor die Tür, die gar nicht anders können.“ Frauen zum Beispiel. Denn sie müssen dafür sorgen, dass nach Sonnenuntergang, wenn das tägliche Fastenbrechen beginnt, irgendetwas zu essen auf dem Tisch steht.
Manche gehen auch betteln, so wie es Aisho Warsame gemacht hat. „Immer wenn ich jemanden gesehen habe, der einigermaßen gut gekleidet war, bin ich auf die Person zugerannt und habe um Geld gebeten, um die Fahrkarten raus aus Mogadischu zahlen zu können.“ Dennoch reichte es nicht. Schließlich zogen Warsame und ihre Familie erst zu Fuß los, bevor sie sich nach vielen Tagesmärschen eine Fahrt im Bus leisten konnten.
Ibrahim Hassan Omar ist in Mogadischu geblieben – bis heute. „Meine ganze Familie ist nicht mehr hier, aber ich passe aufs Haus auf“, sagt er. Seit Beginn der jüngsten Kämpfe sei die Lage zwar fürchterlich. Dennoch will er den Besitz, den er sich in seinem Leben hart erarbeitet hat, nicht kampflos aufgeben. Wie viele andere versteht er nicht, dass die Shabaab ausgerechnet zum Ramadan eine neue Offensive gestartet hat. Es ist das zweite Mal, dass die angeblich so fromme Miliz diesen Zeitpunkt wählt. „Dies ist der Monat des heiligen Korans, eine Zeit der Buße und der Gebete“, erklärt der Imam Abdul Sheikh Mohammed. „Es ist die Zeit, wo wir uns besonders strikt an die Gesetze Allahs halten müssen, und der Islam ist keine Religion des Krieges, sondern des Friedens.“
Gotteskrieger aus dem Ausland sollen kommen
Doch Appelle für den Frieden verhallen in Mogadischu ungehört, selbst wenn sie von religiösen Instanzen kommen. Islamisten wie Regierungstreue übertreffen sich derzeit in Kriegsparolen und versprechen ihren Anhängern eine militärische Lösung. „Wir brauchen mehr Unterstützung aus dem Ausland“, fordert der machtlose Übergangspräsident Sharif Sheikh Achmed. Amisom-General Nathan Mugisha fordert eine Aufstockung seiner Truppen auf 40.000 Mann, während Ugandas Präsident Yoweri Museveni immerhin zehntausend Soldaten anbietet, sollten die USA die Kosten übernehmen. Währenddessen streuen Shabaab und Hizbul Islam, die zweite große Islamistenmiliz, Gerüchte, dass hunderte Gotteskrieger aus dem Ausland auf dem Weg seien, um den heiligen Krieg für sie zu beenden.
Dabei ist ein militärischer Erfolg für keine Seite möglich, glaubt Ernst Jan Hogendoorn, ein Somalia-Kenner von der International Crisis Group. Dafür, dass die gut 7.000 AU-Soldaten nicht in der Lage seien, die auf 5.000 Mann geschätzten Shabaab-Milizen zu besiegen, gebe es vor allem politische Gründe. „Es gibt niemandem, der in der Lage ist, die mächtigen somalischen Clans zu koordinieren“, so Hogendoorn. „Zusammengenommen hätten diese Clans 50.000 Soldaten zur Verfügung – nur weil sie sich nicht einig sind, kann die Shabaab fast das ganze Land kontrollieren.“
Dass Sharif Achmeds Regierung nicht willens oder in der Lage ist, die zerrissenen Clans zu koordinieren, sehen viele Somaliaexperten als Beweis dafür, dass die auf dem Papier seit 2004 regierende Mannschaft keinen Frieden schaffen kann. Offenbar sehen sich selbst bisherige Unterstützer aus dem Ausland schon nach einer Nachfolge um. In Frage kommt dabei am ehesten die moderate muslimische Bewegung Ahlu Sunna Waljamea, die im Gegensatz zur Übergangsregierung relevante Teile Somalias kontrolliert und an der Seite der Regierung gegen die Shabaab kämpft. Trotzdem weigert sich Sharif Achmed bislang, seine Macht mit der Gruppe zu teilen. Mitten im Krieg schachert er um Posten, während seine Regierung nicht mehr in der Lage ist, ihre Soldaten zu bezahlen. Der Frieden, für den am Feiertag viele Somalis beten werden, scheint derzeit in weiter Ferne.