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terrorismus mit ruhiger hand. ein offener brief von WIGLAF DROSTE

Sehr geehrte Herren, erst einmal herzlichen Glückwunsch: Sie haben es geschafft. Zwei nicht explodierte Kofferbomben ungeklärter Herkunft, die möglicherweise Sie in der Bahn deponierten, sind ein gefundenes Fressen für alle Fanatiker der inneren Sicherheit in Deutschland. Befeuert von den Breittretungsorganen der medialen Pluralismuswüste entsteht ein paranoides Klima wie zu Zeiten der RAF-Hysterie, und viele Deutsche blockwarten so begeistert mit, dass man ahnt, wie schmerzlich sie die Gelegenheit dazu vermisst haben müssen.

Doch wie alle Terroristen haben auch Sie Sympathisanten, vor allem unter den Kunden der Bahn, zu denen auch ich zähle – zu den Bahnkunden, nicht zu den Sympathisanten. Wer nahezu täglich die Wahnvorstellungen des sadistischen Bahnchefs Hartmut Mehdorn auszubaden hat, kann nicht einsehen, dass er auch von Ihnen noch ins Visier genommen wird. Das ist lästig und vollständig unlogisch.

Ihre Vorstellungen von Feindschaft sind diffus, Ihr einziges Pfund ist Ihre Entschlossenheit zum Handeln. Wenn Sie vom Terrorismus schon nicht lassen wollen – darf ich Sie bitten, zielen zu lernen? Also einen Terrorismus der ruhigen Hand zu praktizieren und Augenmaß walten zu lassen?

Vergessen Sie bitte zuerst Ihr ganzes moralislamistisches Gekäse und Geschnorchel. Andernfalls laufen Sie Gefahr, ethisch und intellektuell mit der hannöverschen Landesbischöfin Margot Käßmann auf eine Stufe gestellt zu werden, die mit ihrem Aufruf zum Boykott von Madonna-Konzerten endgültig bewies, wie schwer sie ein Ei am Wandern hat. Prüfen Sie ferner, was Sie gegen den Westen im Allgemeinen und gegen Deutschland im Speziellen einzuwenden haben. Ich bin sicher, Sie werden allerhand vernunftgemäß Nachvollziehbares finden.

In jeder Einkaufspassage könnten Sie sich nützlich machen; Läden für Discounterplunder und für Hochpreisramsch gibt es zuhauf, dazu jede Menge Schrotthökerketten – hauen Sie das Zeug weg, meinen Segen haben Sie. Verzichten Sie dabei aber bitte unbedingt auf Menschenopfer. So etwas ist doch atavistisch und wird gerade von jungen Menschen, die Sie ja rekrutieren wollen, als peinlich, nicht mehr zeitgemäß und uncool empfunden.

Wenn Sie solche billigen Knalleffekte aber verzweifelt nötig haben, erzielen Sie diese doch bitte ausschließlich mit Hilfe von Menschen, die ohnehin mit viel Tamtam und Bohei aus dem Leben hinaus wollen – wie Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich im August 1976 mit Benzin übergoss und anzündete. Die legendäre Fackel von Zeitz war quasi ein Kollege von Ihnen: ein Selbstmorderpresser. Oder erinnern Sie sich an Petra Kelly, die politisch in der Nähe jeder Presseagentur stand und sich einen Ex-General zum Manne nahm, einen Berufsmörder, der seine Profession dann erwartungsgemäß an ihr ausübte. Am gescheitesten wäre allerdings, den ganzen Islambettel hinzuschmeißen und zu erklären, Sie wären so eine Art Waffen-SS. Das käme erstens der Wahrheit ziemlich nahe und würde zweitens die Herzen vieler Deutscher für Sie öffnen. Denken Sie einmal darüber nach. Mit verbindlichen Grüßen: der Obige.

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