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Archiv-Artikel

Vorbereitung mit Ameisen im Bauch

Timo Boll ist von seinem Gastspiel in der chinesischen Superliga zurückgekehrt. Beim Bundesligaauftakt am Sonntag will die Nummer zwei der Tischtennis-Weltrangliste zeigen, was ihr der Aufenthalt sportlich gebracht hat

BADEN-BADEN taz ■ Es hat nicht nur an Delikatessen wie „Ameisen klettern auf dem Baum“ gelegen. Auch wenn Timo Boll die chinesische Küche angesichts der auf einem Berg von Gemüse platzierten Riesenameisen und anderen asiatischen Leibspeisen als „abschreckend“ empfindet. Fünf Kilogramm nahm der Weltranglistenzweite bei seinem zweimonatigen Gastspiel in der chinesischen Tischtennis-Superliga ab. Auch die „bestialische Luftfeuchtigkeit“ und bis zu 40 Grad heiße Sporthallen trugen dazu bei.

„Hager bin ich trotzdem nicht“, beschwichtigt der Star des TTV Gönnern vor dem morgigen Bundesliga-Auftakt gegen den TTC Fulda-Maberzell (17 Uhr). Neben sechs Pfund „Urlaubsspeck“ trainierte Boll zwei zusätzliche Kilogramm ab. 73 statt 75 Kilogramm beträgt nun das Kampfgewicht des 1,81 Meter großen Linkshänders. „Ich bin muskulöser geworden. Körperlich habe ich dank des harten Trainings gegenüber meinen chinesischen Konkurrenten aufgeholt“, urteilt der einzige ernsthafte Rivale der Pingpong-Stars aus dem Reich der Mitte. Als er am Anfang dieser Woche wieder ins Training bei seinem Bundesliga-Stammverein einstieg, verblüffte Boll die Mannschaftskameraden um Rekordnationalspieler Jörg Roßkopf: „Meine Kollegen erschraken, wie fest und schnell ich spiele“, berichtet Boll schmunzelnd und ergänzt: „Das merkt man gar nicht selbst, wenn man 1 Prozent zulegt.“

Sein Resultat von 8:5 klingt weit weniger überragend als im deutschen Oberhaus, in dem der Weltcup-Sieger vergangene Saison lediglich ein Einzel verlor. „Ich hätte gegen all die Weltklasseleute bei weniger trainingsintensiveren Wochen sicher ein besseres Ergebnis erzielen können. Doch mein Hauptaugenmerk lag auf einer optimalen Saisonvorbereitung“, erläutert Boll sein Ziel bei dem Asien-Trip. Immerhin rettete die Langnase ihren Klub Zhejiang Haining Hongxiang vor dem Abstieg. Nachdem der einheimische Liu Guozheng und der Taiwanese Chiang Peng-Lung ausgefallen waren, zerstoben die Titelträume. Durch ein 3:1 über Zhejiang Ningbo Haitian gelang Bolls Verein im letzten Spiel der Klassenerhalt und der Sprung auf Rang fünf der Tabelle.

Mit dieser Platzierung würde Gönnern zum dritten Mal in Folge die Play-offs verpassen. Die Bundesliga ist heuer ausgeglichener denn je. „Sechs Teams können Meister werden“, glaubt Boll. Die Topmannschaften Ochsenhausen und Meister Frickenhausen ließen Federn. Letztere verloren Jens Lundquist an den schwäbischen Rivalen sowie Torben Wosik. Dafür kamen dessen Nationalmannschaftskollege Bastian Steger aus Düsseldorf und Jugendweltmeister Patrick Baum. Auf der Rechnung hat Boll auch Borussia Düsseldorf, das sich mit dem Tschechen Petr Korbel verstärkte. Aufsteiger Plüderhausen baut im Abstiegskampf ähnlich wie Fulda mit Jan-Ove Waldner auf einen alten Schweden: Ex-Weltmeister Jörgen Persson kehrt mit 40 Jahren an die Platte zurück.

„Auch Würzburg, Grenzau und wir können gefährlich werden“, befindet Boll. Der Odenwälder weiß, dass das von der Zahl seiner Einsätze abhängt. Um die 23 Spiele will er bestreiten. Damit wird der 67-fache Nationalspieler jedoch in einigen Bundesliga-Duellen pausieren. „Der Fokus liegt weiter auf der Champions League“, betont Boll und verweist darauf, dass Gönnern mit den Siegen auf europäischer Bühne „in den beiden Vorjahren alles richtig gemacht hat“. Auch diesmal wird der TTV mit ihm, Roßkopf und Slobodan Grujic als Mitfavorit gehandelt.

Angesichts der leichten Vorrunden-Auslosung hofft Trainer Helmut Hampl darauf, seinen Star in der Champions League schonen und häufiger in der Bundesliga einsetzen zu können. Timo Boll hätte jedenfalls nichts dagegen, „auch mal deutscher Meister mit Gönnern zu werden“.HARTMUT METZ